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AN SOPHIE HAUFE

   

[28. Oktober 1809]     

Ich begreife sehr gut, liebe Frau Sophie daß ich seit 4. Wochen, so lang M. Hendel hier war vor lauter blauen Wundern und ästhetischem Schlaraffenleben nicht habe schreiben können. Sie gab außer den mimischen Darstellungen, Medea, (das wissen wir) die Jungfr. v. Orleans, Orsina in Emilia Gal. 2 mal Schillers Phädra und eine deklamatorische Akademie. Aber wie? Oft war es mir, wenn ich sie in der ganzen Glorie ihres Genies und ihrer Kunst erblickte, wie einem, der mit einem höhern Wesen im Umgang steht und die Ahndung hat, es könne kein gutes Ende nehmen. Fast wurde es am Montag wahr. Sie deklamirte im Theater Hans und Verene zweimal hinter einander mit ungemeinem Beifall. Das war gut. Als nach dem Zeddel iezt eine Scene aus Makbeth folgen sollte, lächelte sie mich (ich saß in den vordersten Reihen) schalkhaft an, als die eine Spitzbüberei im Sinn hat, und fing mir selbst überraschend den verliebten Hauensteiner an: z' Fryburg in der Stadt sufer ischs und glatt." Auch gut. Aber als sie sagen sollte:

Minen Auge gfallt — —
 — — — — — —           
     
's isch e Sie, es isch kei Er.
Dreht sie sich nach mir, lächelt nach mir, sagt                     
      's isch kei Sie, es isch en Er

und deutet auf mich. Was sagen Sie? Eine Schauspielerinn und ein Kirchenrath in Gegenwart des Großherzogs, des Hofes, des Fürsten von Thurn und Taxis (des wahren) vieler Fremden, und 600 andern. Ist schon so etwas einem Kirchenrath passirt? Mir noch nie. Indessen lief auch das noch glücklich ab. Vor langem lauten Beyfall konnte sie die Schlußzeile gar nicht mehr anbringen, und dankte für ihn, nicht stumm, sondern laut, und sezte hinzu, sie habe dieses Glück (ich will nicht alles schreiben) ihrem Freund Hebel zu verdanken, dessen Gegenwart sie begeistere. Nach dem Schluß dankte ich ihr im Garderobezimmer mit einer Umarmung, das war auch gut, und holte sie zu einer Abendgesellschaft ab, wo ich ihr zur Vergeltung einen heroisch tragischen Auftritt so gut ichs als Laye kann zum Besten gab. Ich stürzte nachts um 12 durch eine Balkonthüre (n. b. ohne Balkon) die ich für ein Fenster hielt, an welchen ich die Tabakspfeife ausleeren wollte hinaus, blieb aber doch mit der schwereren Hälfte des Körpers im Saal, obgleich der Kopf draußen in der Luft, nachts um 12 Uhr auch nicht mehr mein Leichtestes war, ganz ohne allen Nachtheil, ohne den mindesten Schrecken, ohne Spur von Schmerz. Ich begreife meine Rettung und meine Ruhe bei völligem Bewußtseyn nicht, aber schon vor einem Jahr habe ich M. Hendel dafür angesehen daß sie im Besitz verborgener Künste sey. Am Montag gieng sie fort. Seitdem spielen ich und ihr Eichhörnlein das sie mir schenkte, zwey betrübte Figuren mit einander. In 4. Wochen kommt sie wieder, und gibt die Kayserinn Kunigunde, ein neues noch nie und nirgends gesehenes Schauspiel. Ich wills nicht umsonst gesagt haben. Denn nach Straßb. kommt sie nicht — weil der Kayser nicht nach CRuhe kam. Ein einzigmal fuhr ihr der Gedanke durch die Seele.

Was sagt mein Erzkanzler durch Arelat dazu, daß Banquier Türkheim hiesiger Finanzminister wird? Haben wir einmal nach dem rechten gegriffen?

Gestern wurde die Illumination, die auf den Kayser gerüstet war, angezündet, wie man einen Braten, wenn der Gast nicht gekommen ist, den andern Tag selber frißt. —

 Herzliche Grüße den Freunden        J. P. H.     

 

 

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