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AN SOPHIE HAUFE

   

[Vor dem 13. Nov. bis zum 15. November 1808]      

Liebe Frau Sophie!

Im Grund ist es mein Glück, daß sie am Sonntag wieder fortgeht, und daß ich sie morgen zum lezten mal sehe, eh' ich mich in sie vernarre, nemlich nicht in die Tochter des H. Gaymüllers, sondern in die Madame Händel. Aber um nicht hinten anzufangen, will ich von vorne anfangen, und euch erzählen, wie es dem armen Herrn Vogel hier geht. Dem armen Herrn Vogel gehts schlecht hier.

Das erste Stück womit er das neue prachtvolle Theater eröffnete, war das Waisenhaus, ein Singspiel. Ich war nicht darinn, aber im ganzen Publikum war nur eine Stimme des Mißvergnügens und Tadels. Die armen Schauspieler dauerten mich, die überall wo sie sich des andern Tages blicken ließen, die lautesten Ausdrücke des Unwillens anhören mußten. Das zweitemal in der beschämten Eifersucht spielten fast alle mit Unmuth und Verlegenheit. Die kleine Brand das arme Thierlein dauerte mich. Doch ging es, weil das Stück selber sinnig ist. Im dritten Stück Fanchon, wurde schon einigermaßen mit dem Pfeiflein applaudirt. Es galt der Mad. Vogel persönlich, die Fanchon spielte. Selbst die Gegenwart des Großherzogs konnte sie nicht schützen, so groß war der Unwillen, so fein ist hier der Geschmack, oder so ungezogen die Sitte. Mad. Vogel fühlt sich darüber äußerst gekränkt, und will nie mehr auf das Theater kommen, sagt sie. Das Leonhardel, das sich einst in Straßburg als Ophelia so närrisch stellte, wird ebenfalls sehr kaltsinnig behandelt, was mir leid ist, denn sie hat theatralisches Talent, und gibt sich Mühe zu gefallen, nur zu viel. Ihr guten Straßburger kommt dabey am schlimmsten weg, denn wenn man sagt, dieses Stück, oder diese Person sey doch in Strasburg allgemein applaudirt worden; so wird erwiedert, Straßburg und Carlsruhe sey zweyerley. Sonntags darauf der kleine Matrose, vielleicht zu einigem Trotz, denn M. Vogel, die sonst in dieser Rolle ungemein gefiel, schickte an ihrer Statt Mad. Brand, wobei das Publikum nichts einbüßte. Man wird Mdm. Brand, so oft dis Stück gegeben wird, zu sehen wünschen.

Wie nun aber die ärgsten Stürme vorüber waren, und man ergab sich drein, führt des Vogels böser Geist die Mad. Händel ins Land. Sie kommt vom Berliner Theater, geht nach Italien um an den Antiken Mimik und Tanz, d. h. die Stellung zu studiren und blieb 8. Tage hier. Sie ist eine der vorzüglichsten deutschen Künstlerinnen und in der Figuration und Darstellung vielleicht einzig. Vogel sah sie nicht gerne in diesem Augenblick, so sehr er auf gute Einnahme von ihr rechnen konnte. Sie spielte 4 mal bey vollem Theater. Medea am Sonnt, und Donnerstags darauf Ariadne wurden von ihr auf einzige Art behandelt. Der Text schien ihr nur leitender Faden zu seyn, um alle ästhetisch schönen Attitüden der alten Welt und Kunst zu repräsentiren. Der Beifall und die Bewunderung derer, die ihr Spiel in diesem Sinne nahmen, war ungemein. Nächst dem gab sie die Margrethe in den Hagestolzen, und Fresen im Fremden. Da sah man freilich, was Kunst ist, wer es noch nicht wußte. Vogel ist krank und hat noch nie gespielt, so daß ihm sein bester Akteur auch noch fehlt. Unter solchem Unstern zog er hier ein, doch gab sich seine Gesellschaft, wenigstens neben M. Händel sichtbar Mühe, und nicht ohne Glück, und wir Carlsruher kommen mir doch manchmal billiger vor, als manchmal, so daß ich glaube es werde noch ziemlich gut gehen, wenn Mad. Vogel Wort hält, und Madm. Leonhard nimmer singt. Und so viel von dieser Tragödie. Die andere ist noch nicht aus. Sie wissen nemlich daß Geh. Rath Herzog, und Fein und H. v. Sternheim schon 8 Tage mit Wache sitzen, und kein Mensch zu ihnen darf. Ihr könntet noch mehr wissen als ich, denn der ganze erste Akt spielte 3 Wochen lang in Straßburg.

den 13teil oder I4ten glaube ich.

Jezt soll alles nichts mehr gelten, was ich im Anfang dieses Briefes von M. Händel geschrieben habe. Denn es ist mir herzlich leid und weh, daß sie gestern früh fort ist. Indessen, Leutlein, behaltet doch euer Gevattermann den Kopf oben, und ist nicht vernarrt, sondern nur entzückt und heilig. Denn den lezten Abend ihres Hierseyns widmete sie einer kleinen Zahl von Erwählten, und entwickelte eine Kunst und ein göttliches Talent, das sie wohl auf keinem Theater und vor keinem gemischten Publikum preisgibt. Lauter Pantomime, Attitüden und Gruppirungen. Zuerst eine Reihe von Madonnabildern Maria Verkündigung — die Mutter Gottes mit dem Kindlein auf dem Schoß — das Wiederfinden im Tempel als Jesus 12 Jahre alt war. — Maria bey der Kreutzigung — Maria mit dem Leichnahm auf dem Schoß, Maria, ihrem Sohn nachblickend bey der Himmelfahrt. Dis alles nach Phantasie und eigenem Gefühl. Dann noch einige Madonnenbilder nach Albrecht Dürer. O daß ihr liebe Kinder und Ohnmacht da gewesen wäret. — Im zweiten Akt gab sie Momente aus der griechischen und römischen Welt, vorzüglich schön Niobe, Galathca, Virginia, eine vestalische Jungfrau, Pätus und Arria. Im dritten Scenen aus Makbeth und Ignes v. Castro als Geist. Kindlein, euer Gevattermann ist sonst derienige nicht, der seinen eigenen kleinen Lorbeerzweig andern Leuten um die Nase herumstreicht, und sagt: Riecht daran! Aber das muß ich unter unsern 6 Augen (wenn das Mäuslein mit seinen zweien schlaft) zur Wahrheit sagen, daß ich für die allem. Gedichte mich noch nie so geehrt fühlte als durch die feine Attention und Auszeichnung mit der mich diese Frau während ihres Hierseyns behandelt hat, so daß ich nicht weiß, um schicklich wieder abzulenken und auf das Thema des Egoismus zu kommen, ob ich über ihr, oder über mir selber vernarrt — wollte sagen — entzückt bin. Was ich aber über den Egoismus zu sagen habe ist das: Es gibt noch einen dritten Akt, der davon frey ist, und noch schlimmer als die beiden ersten, obgleich das Sterben auch nicht zu den Spaßen gehört, nemlich wenn man, wie ich einfältiger Mensch, eine Stunde lang zur Madame Bürger hinsitzen kann mit Unmuth und innwendigem Fluchen, und ihr Unterricht geben in der Oberländischen Aussprache, weil — unter unsern 6 Ohren sey es gesagt — das Mensch den Morgenstern am Mitwoch deklamiren will. Sie hat mir einiges privatim, mehr unter 2 als unter 4 Ohren vordeklamirt. Es ist nicht zu läugnen, daß sie Gefühl mit einer Manier nachzuahmen weiß, die an Warheit gränzt, und viel von Reinheit und Weiblichkeit spricht, aber mich soll sie nicht anführen. Morgen gehts los. Aber ich will den Brief heute noch zuspunden, und morgen Abends in meine 2 Ohren fluchen, nicht in euere vier.

Vogel hat am Sonntag eine verstärkte Probe gemacht, ob denn das hiesige Publikum ganz ein .......*) sey. Heute wird Reue und Ersatz gegeben. Da ich mich in eine Loge auf ein ganzes Jahr abbonnirt habe, so hab ich nimmer nöthig in die Reue zu gehn, und dem Ersatz traue ich nicht. Mit der nächsten Böttinn schicke ich euch einen Kalender, eine neue Auflage der all. Gedichte für die Klein Straßburger Stadtbibliothek, und einen Wechsel. Leztern vielleicht noch früher. Gott gebe euch schöne Zeiten. Zu tausend guter Nacht!

Assa!      J. P. H.           

 

 

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*) Zerrissen.

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