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AN SOPHIE HAUFE |
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An Mad. Haufe. [September 1808] Ich getraue mir sogar, meine liebe Frau Sophie, bey dem Glas Burgunder das ich von Mad. Weiler vor mir stehen habe, noch ein Wort mehr zu sagen. Denn da der bewußte Schmerz eine nothwendige Folge ienes für die ganze Menschheit wohlthätigen Gesetzes ist, so betrachte ich den, der diesen Schmerz erduldet keineswegs als einen Egoisten, sondern als einen Leidenden für das allgemeine Menschenwohl. Ia noch mehr ich kann Ihrem Mann, sogar einen moralischen Wiederspruch aus seiner Behauptung ziehn. Denn niemand der lebendig und fest an ein besseres Leben nach dem Tode glaubt kann ein Egoist seyn. Diesen Glauben muß aber derienige absolut haben, der an dem Grabe seiner Lieben nur sich zu beweinen glaubt, und also kann er kein Egoist seyn. Indessen kann Ihr Mann auch recht haben, liebe Frau Sophie, wenn er sich über einen Ausdruck zu erklären weiß. Ein großer Theil unsers Lebens ist ein angenehmer oder unangenehmer Irrgang durch Worte und unsre meisten Kriege, den Wachtelkrieg und seinesgleichen ausgenommcn, sind WortKriege. Und so läßt sich auch für den Egoismus vieles sagen, z.B. er sey das schöne, magische und unzerstörbare Band, das die menschliche Gesellschaft zusamen hält, und so viele schöne Stunden an sich aufreiht. Denn ohne Egoismus hätte z. B. Baldner seinen Garten nicht angelegt, und ohne Egoismus gingen wir Klein-Straßburger nicht hinein. Weiter kann man sagen der gröste Menschenfreund sey der unersättlichste Egoist. Denn er ist nicht zufriden mit seinen eigenen Freuden und Vortheilen und Leiden. Nein er will auch, so weit er kann die Freuden und Leiden aller andern Menschen sich zu eigen machen und das Wohl der ganzen Menschheit in sich concentriren: denn der Egoismus ist wie manches, nur so lang ein Fehler, als mans im kleinen treibt, und wird eine heroische Tugend, wenn manns zum Großen bringt. Es gibt nur ein[en] Akt, der von allem Egoismus rein ist, wenn iemand für das allgemeine Wohl sein Leben aufopfert, ohne ein künftiges zu erwarten. Ich will damit die Tugend nicht ihres Werthes berauben, aber man soll nicht über den Egoismus schimpfen. Was können denn wir dafür? Ist es nicht schon ein Egoismus, daß wir existiren, und zwar bey vielen Menschen ein sehr grober und gemeiner.Endlich deutet ia selbst die Sylbe ismus auf eine feste Verbindung der Vielheit zur Einheit, auf das gemeinschaftliche Festhalten mehrerer in Verbindung an einem Grundsatz, und auf ein harmonisches zusamenWirken zu einem Zweck wie in Papismus, Jesuitismus, Wachtelismus. Und so ist der wahre Egoismus nichts anders, als (mit oder ohne deutliches Bewußtseyn) das gemeinschaftliche Bestreben aller Menschen durch die Vervollkommnung und Beglückung seiner selbst, das seinige zum allgemeinen Wohl beizutragen. Aber hole der Henker diese philosophische Abhandlung, die mir den Raum nimmt, viel anderes und klügeres mit Ihnen zu kosen! Doch nein, hole sie der Henker nicht. Denn sie gibt mir Gelegenheit, bald den zweiten Brief nachfolgen zu lassen. Auch Egoismus, unter dem Sie als lesende Dulderinn leiden müssen. Durane meine herzlichen Grüße. Mit treuem Sinn Ihr ergebenster Fr. H.
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Wachtelkrieg: der Krieg
in Spanien, das von Hebel oft |