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AN SOPHIE HAUFE

   

Hier fangts an, und geht nachher fort:                                          [7. Juni 1807]

Das ist zu arg, meine Freundinn, ins Oberland zu reisen, und uns sitzen zu lassen, in die wunderschöne Gegend, auf die lichten luftigen Höhen in das fröliche heimische Leben, uns nicht mit zu nehmen, besonders, mit Erlaubniß, mich, der ich doppelten Gewinn hätte, zweitens die Reise selbst aber erstens die Gesellschaft. Sie giengen ohne Zweifel gerne mit, könnten auch, aber man will Sie nicht. Mich ladet das lose Landstreichervölklein ein, weil es weiß, daß ich nicht kann. Aber wir wollen ihnen nachwünschen, wenn sie auf dem Wege sind, lauter staubige Chausseen, es soll keinen Tropfen regnen, entsezlich lange Stunden von einem Dorf ins andere, die längsten Tage im Jahr, und in allen Wirthshäusern lauter 1805 er. Denn im Grund machen sie doch, wie Adelstan, nur eine Weinreise. Was mich betrift, so glaube ich, man hat mich nur eingeladen, um zu sondiren, ob ich vielleicht gar Zeit habe, während die andern fort sind, nach Straßb.(urg) zu kommen, und Sie zu besuchen und das Kind. Wenn ich zugesagt hätte, so hätte man mir geschrieben, es habe sich zerschlagen für dismal, man wolle michs schon wieder wissen lassen. Aber soll ich nicht unmittelbar dem Mann ein wenig das Gewissen schärfen. In der That, lieber Herr Haufe, solches Reisen ins Oberland führt zu nichts, oder vielmehr zu vielem, alle Abende zu einem Wirthshaus oder Freund, zu schönen Gegenden oder Stunden. Dessen ohn- oder auch ungeachtet sind lange Reisen nichts nutz, erstens weil die gute Frau daheim muß sitzen, zweitens weil Sie auf solchen selber eilen müssen. Ich schlage Ihnen also breite vor, z. B. nach Kehl, nach Mittelhausbergen oder nach Karlsruhe. Breite Reisen sind ohnehin in ihrer Art interessanter als lange, weil man auf ihnen gleichsam zwey reiche tiefe Welten voll schöner Gegenden, interessanter Menschen und unzähliger Kirchthürme unmittelbar durchschneidet und rechts und links berührt. Mir will vorkommen, ich Jeanpaulisire, was auch möglich ist, weil ich noch nicht lang aus den Flegel-Jahren herausgetretten bin, ob ich gleich noch nicht die ganze Quarantäne, nemlich alle vier Bände, ieden zu 10 Tagen oder langen Streckversen gerechnet, durchgelebt habe. Im zweyten hatte ich noch fröliche Zeiten, aber im dritten will mir vorkommen, es sey abgesehn auf einen Streckroman, oder auf eine Ziehpumpe in die Cottaische Verlagskasse. Vielleicht aber hab ich mirs selber verdorben, weil ich zwischen hinein den Jubelsenior auch gelesen habe, und verliebter bin in die Dea als in die Wina, die man ia den ganzen Tag, ia ein ganzes Flegel Jahr hindurch und länger nicht zu sehen bekommt. Auch will es mir nicht gefallen, daß er sagt, Bewußtseyn der Unschuld sey ihr Tod. Denn wenn es wahr ist, so riskirt er alle Unschulden zu töden, die ihn lesen. So etwas darf man wohl denken, aber nicht sagen. Ich wollte — nemlich etwas schreiben, aber ich weiß selber nimmer recht an wen ich diese Seite lang geschrieben habe, ob an den Mann oder an die Frau, oder gar an dich kleines aufgehendes Haussternlein (aber ia nie Hauskreuzlein!) Das du wohl hören darfst, man sey am unschuldigsten, so lang mans nicht weiß. Von dem Fest der h. Creutzerhöhung sind wir keine Freunde, Sternlein sechster Größe an der Milchstraße! und so du bös seyn willst, so traue mir nicht. Denn wenn deine Mutter ie zuweilen sagt: Schweig gleich oder ich ruf den Leu! so meint sie mich.

Ich finde da eben, daß ich schöne Gelegenheit und Weitung habe ein par Streckzeilen anzubringen, die desto mehr an ihrem Ort sind, da der Raum mit jeder Zeile abnimmt, wie mit jedem Tag das Leben. Ich schicke euch hier zum Andenken, 30. basler Streckverse, statt eben so viel dito Lebkuchen, und will mir Mühe geben auch ein par Frankfurter aufzutreiben. Morgen wird mit großem Pomp, leider noch nicht die Geburt, doch einsweilen die Empfängniß der neuen Stadtkirche, im mütterlichen Schoß der Erde, nemlich die Legung des Grundsteins gefeiert. Ein gewisser Herr beklagt sich daß er nicht werde dabey sein können, wegen heiserm Hals. Gmelin rieth ihm einen Hopelpopel — oder ein Herz, sezte ich hinzu. Aber ohne daß es iemand hörte, außer
Sie iezt. Denn eigentlich ist mir der Mann werth und hat eins, mit 4. Cammern, auch gehöriger Systole und Diastole.

Nun freuen Sie sich, auf die schönste längste Streckzeile dieses ganzen Briefes, gleichsam den 22ten Junius, dieses epistokrischen Flegeliahres mit welchem, ich unter Anwünschung einer glücklichen Reise und eines ruhigen Daheimbleibens auch ansonstigen weiteren Wohlergehens, auch baldiger vergnügter Ruktur allstets verharre.

J. P. H.    

 

 

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Bewußtseyn der Unschuld sey ihr Tod: Gemeint ist die Stelle
 in Jean Pauls „Flegeljahren": „Unschuld, nur wenn ich
dich nicht kenne, wie die kindliche, dann bist du eine;
aber dein Bewußtsein ist dein Tod." - Die vorgenannte
 „Dea" ist eine Verkürzung von Alithea, der Pflegetochter
 des Jean Paul'schen „Jubelseniors". Die „Wina" ist die
vom Helden der Flegeljahre verehrte Wina Zablocki.
ein gewisser Herr: Hofprediger Walz, der die Weiherede
hätte halten sollen. In seiner Vertretung sprach
Kirchenrat Gockel.
Hopelpopel: Mit diesen Worten drückt Jean Paul in den
 „Flegeljahren" die gemeinsame Arbeit Walts und Vuhs
an ihrem Romane aus: „Gut, so mag denn die Duplizität
 der Arbeit schon auf dem ersten Blatt bezeichnet werden,
etwa Hoppelpoppel oder das Herz." — Hoppelpoppel ist
ein Heißgetränk aus Ei, Zucker und Arrak oder Rum.

 

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