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AN SOPHIE HAUFE

   

Um Gottes Willen mein liebes freundliches Weiblein, wie soll ichs anfangen, Ihrer unwiderstehlichen Einladung und meinem unwiderstehlichen innern Treiben ein Wort entgegenzusetzen. Wenns mit einem unternähten Kleien und Kamfersäcklein auf dem Backen und mit einer Serviette um den Kopf zu zwingen wäre, so wollte ich ia gerne also hinaufkommen, und dem Groß Straßburger Publikum den Spaß machen, also bey euch einzuziehn und zwar von der Douane bis in euere Cajüte voll Freuden und Hofnung, zu Fuß. Ich habe diese Nacht viel wachen müssen, theils vor Schmerz, theils von Herzenleid. Ich habe Zahnweh und eine Zahnfleischgeschwulst oder Entzündung. Schweickhard hat mir den Namen dazu gesagt, aber ich habe [mich] nichts darum bekümmert, weil ich die Sache weiß, und den Valor habe. Damit ist eine starke Drüsengeschwulst unter dem Kinn verbunden, die eigentlich mehr inkommodirt, und ängstlich macht, als weh thut, wiewohl ichs alles schon kenne, und nicht zum ersten mal so habe.

Gewönlich nimmt alles ein Ende mit dem seligen Tod des Zahns. Oft aber kommts in widerholten Zeiten zwey dreimal an den nemlichen, weils sonst nicht auslangt. Die Drüse dauert mich am meisten. Die Zähne können doch miteinander abwechseln, und einer baldigen Auflösung entgegensehn, aber sie muß so lang es auf der nemlichen Seite ist, allein aushallen. Vom Husten will ich nichts sagen, weil er täglich mehr, nicht seinem Ende, aber doch seinem gewöhnlichen Barometerstand seit dem Julius sich nähert, wiewohl ich eigentlich die Ferien, in denen ich nicht sprechen und die Brust anstrengen darf, zu einer Cur benutzen sollte um den alten Gast ganz zu vertreiben, aber nicht thue.

Liebes gütiges Menschen und Weiber-Herz, soll ich denn nun mit solchem Gepreste bey diesem rauhen Winde, auf die Reise gehn, und zwar in der Nacht, die niemands als gerade des Zahnwehs Freund ist, und zu Fuß über den Rhein gehn, und euch dann an den Ofen sitzen, und grumsen, und Gesichter schneiden? Ihr verliert freylich, die Ihr mich so gern und lieb habt etwas an Eurer Freude. Aber denkt an meinen größern Verlust. Ihr alle entbehrt nur mich, und ich euch alle, die Viootels Aktie namentlich erwähnt. Nun wenn der liebe Gott, der doch auch nicht gern einen Spaß verderbt, wenns nicht seyn muß, biß Samstag das erste Wunder thut, und mir hilft, so darf er zum Dank sicher auf das zweite rechnen, daß ich in CRuhe ins Bett gehe und in Straßburg aufstehe, und wenns noch in der Mitte der lezten Woche besser wird, so komm ich noch wenigstens zu den Brocken eures Taufschmaüses, und zum Widerschein und Nachklang eures frohen Tages. Aber ich bitte euch, wenn Ihr mich liebt und mir gern eine Unruhe erspart, wartet nicht auf mich, glaubts nicht, daß ich komme, laßt alles einen ordentlichen Gang gehn, als wenn ich dabey wäre, wählt mir, nicht nur für die Kirche, vielmehr für den Tag, und besonders für die Culmination im Quartir des Rinderbratens und etwas später einen Stellvertretter, der weniger spricht, als trinkt, und weniger ißt als froh ist, und der einem stillen Wasser gleichen kann, nicht einem Strudel, damit sich der Licht und Freudenstrahl aus allen Gesichtern und Sternen in ihm abbilden kann, ohne ein Wort zu sagen, aber deßwegen doch nicht iust den iungen Herrn Oberlin.

Vor Thorschluß dieses Briefes war es mit dem Zahnweh ein wenig leidlicher. Aber ich bitte, obige Bitte deswegen nichts an ihrer Kraft verlieren zu lassen.

                                                                  J. P. H.     

d. 25 sten M.[ärz 1807] 

 

 

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Douane: Zollstation.
grumsen: brummen, murren.
Oberlin: Sohn von Johann Friedrich Oberlin.

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