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AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

   

                                                     Vom 7. bis 11ten Dec. [1810]

O, Zenoides!

O Proteus, setz ich hinzu, o Belchenaltar, du Typus meiner Starrseligkeit im Schatten des heiligen Schweigens. Bin ich noch? Gibts noch Dintenpulver? Schreibe mir o Zenoides, ob der Fürst von Thurn und Taxis noch lebt, damit ich weiß, ob ich dir noch ferner schreiben kann.

Ich war 6 Wochen lang krank. Was ich aß und trank, ia was ich denken und schreiben wollte, ia schon das Wollen selbst, dampfte in unaufhörlichen, iedoch wohlthätigen Schweißen davon. Unterdessen häuften sich die Geschäfte und Akten, und ich mußte, die 6 kranken Wochen, mit verdoppelter Arbeit in 6 gesunden bezahlen, weil nicht einmal die Krankheit, sondern nur der Tod umsonst ist, der gleichwohl auch umsonst noch zu theuer ist. — Dis sey ein Tröpflein Entschuldigung in mein Becki voll Schuld, das ich dich samt dem Tröpflein bitte zum Fenster hinaus zu schütten, aber niemand auf den Kopf.

Uebrigens hast du o Zenoides in deiner Kindheit eine gute Erziehung bekommen. Das muß man sagen. Denn fromme Kinder reden nie, wenn man sie nicht heißt, und antworten nicht, wenn man sie nicht fragt. Sey doch bisweilen auch ein wenig ungezogen, wie ichs auch schon war. Wir nehmens ia nicht so genau.

Nun zur Beantwortung deines freundlichen Briefes.

Die Geschichte des Pädagogiums in L[örrach] ist wieder in neuer und lebhafter Bewegung. Alle Minister und Departementer, die es betrift sind für Calms Proiekt. Sander steht allein gegen alle, und gibt nicht auf. Nein sagt er wie der alte Vogt Gramer in Hertingen: Uf ge, gibi nit. Es wird sich zeigen, wie der neue Minister von Andlau gesinnt ist. Auch kann noch ein Gott aus der Maschine helfen wenn wie es heißt die 9 Creise in 4 zusammengezogen werden, und Calm nach Freyburg als Direktor des Treisam und Wiesenkreises kommen wird. Denn noch gilt auf alle Fälle der Trost des Sprichworts: Zeit gewonnen etc.

Das schöne Wiederaufleben der theol. Gesellschaft hat mir innige Freude verursacht, die durch euer Wohlwollen in Anbietung der Direktion, mir noch süßer ward. Aber liebes Kind, was denkt ihr?

Ich weiß für euere Güte und für meine Achtung gegen das Institut keinen würdigem und bessern Dank, als daß ich mich mit der Ehre des Anbietens, und mit dem Verhältniß eines auswärtigen Mitgliedes ferner begnüge. Zum blosen Ehrentittel wäre keiner unpassender als der eines Direktors, und für einen aktiven solchen niemand unpassender als ich. Das schöne Loos, täglich in ein paar freien Stunden schwelgen zu können, ist für mich dahin. Die Geschäfte der Schule, der Direktion, der Kirchenkommission, der Museumskommission, aus der ich zwar ausgehe, tausend unvermeidliche Abhaltungen und Zeitzersplitterungen, laune- und zeitfressende Geschäfts und Ehrencorrespondenzen, etwas Jurnal und Allmanachsschreiberey, worein ich nicht gegangen, sondern geschleppt worden bin, machen mich zum verbarmungswürdigsten angenagelten und angekreuzigten Märtyrer für die gute Sache und für die schlimme bisweilen, wie das mein Herr und Gott erkennt, und ich es so vollkommentlich nicht erkennen kann. Nein dies Geschäft muß in freiere Hände kommen, und wen wird die th. G. zu ihrem Direktor wählen oder schon gewählt haben, als ihren Stifter und Widerhersteller, und was könnt ich ihr für einen bessern Segen geben und wünschen, als meine herzliche Einstimmung zu dieser Wahl.

Die erste freie Zeit widme ich einem Aufsatz für sie. Iezt lauft ein Candidaten Examen an der Spuhle. Während ich bei ihnen sitze und sie hüte schreibe ich dies. Wie könnt ich mir einen langweiligen Vormittag kurzweiliger und lieblicher machen? — Aber wechselnd lese ich auch im zweiten Theil von Krummachers Festbüchlein, das Christfest betitelt, um mich auf das nächste vorzubereiten — eine liebliche herzliche Lektüre voll Honigseims Maioran-Duftes und Sonnenaufgangs. Warum sind wir im Winter festlicher gestimmt als im Sommer? Sollte der ganz verschiedene Klang, den die Glocken im Winter sicher haben, auch etwas dazu beytragen. Ein Pfarrherr gibt weniger drauf Acht, was es für andere Wirkung thut, und andere Klänge in der Seele zum Accord nimmt, wenn die Adventsglocke, oder die Pfingstglocke, das Erste und das Zweite und zusammen läuten, weil er beide mal an das nemliche denkt, an die Predigt. — Meine herzlichen Grüße allen deinen Lieben. Der Netoreck kommt seltener mehr in die Stadt. Nächstens werd ich ihn wieder suchen heraus zu stöbern.

Herzlich Dein             

J. P. Parm.            

 

 

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