zurück zur Briefübersicht

 

   

AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

 

 

 

d. 12ten Aug. [1808]          

Die Tage wallen,
Die Monden fallen
hinab, hinab in des Geinetes Schoß.
Längst haben die Sensen verklungen
Schon ist das Erndtlied gesungen
Verblüht die Narciß' und die Ros'
Ich aber sitze
o Freund und schwitze
wie ein Präceptor in Hundstagshitze
und werde des trägesten Unmuths nicht los
und ob ich schon täglich das Federlein spitze
und ob ich schon täglich am Briefpapir schnitze
fällt täglich dem Proteus der Brief in den Schoß
ihm den harrselig
und allverhehlig
das Daseyn deckt
kein Stundenschlag im Weltall wekt
kein chemischer Proceß gestaltet
und aus dem Nichts ins Seyn entfaltet
und niderschlägt.
Du den ich mit der Liebe Flügeln
gleichwohl an deinen Sonnenhügeln
in allen Lauben allen Nischen
in den vertrauten Haselbüschen
und neben ieder vollen Rebe
ein luftiger Pelarg umschwebe
von des Proteus Mantel gedekt
hat dich seit meinem langen Schweigen
der Vöglein Lied in allen Zweigen
süß jeden Morgen geweckt?
Hat dir die caspische See
mit ihren Fluthen, versteh,
Deine große Tasse Gaffe
süß ieden Morgen geschmeckt,
und fromm das Weiblein
zu Fleisch und Sträublein
Den Tisch gedeckt?
Hat sich das Kleine in Arm und Beine
schon groß gestreckt?
und du dem Bärlein
die zarten Häärlein
schon kraus geleckt?
Hat dich die weiße Frau nicht geneckt?
Hat dich kein Stillingischer Kobold erschreckt?
Ist euch kein Spätzlein
kein Huhn, kein Kätzlein
in der entsezlichen Hitze verreckt?
Allhier hat sich manch Rundes geeckt;
Gerades ward krumm
Gescheites ward dumm,
das Spitzige stumpf.
Man spielt iezt mit anderem Trumpf,
und Kleines hat sich zum Großen gestreckt.
O, Freund es schalten
im Chaos ernste Gewalten.
Bey uns ist nur ein Bläslein gesprungen,
Die Welt ist von gährenden Wehen durchdrungen
 Ha, wie's pocht
Wie's in Hispania kocht
und wie's zischt,
wie sich das Freundliche scheidet
und wie sich das Feindliche mischt,
bis halb Europa zum Teufel ist,

zum Teufel ist. Und weil denn nun zu dieser Frist, vom Teufel holen die Rede ist, von Stetten hat schlechtes Erb gefischt — Ich muß die Feder wechseln, lieber Zenoides denn die alte schreibt, wenn sie einmal angefangen hat, wie hirnwüthig in Reimen fort, und läßt sich mit keinem Hieb in den prosaischen Gang bringen. Noch rast sie wie eine Bestie auf dem Tisch herum, und macht ehlenhohe Sätze, alles im Tacktschlag des Rythmus.

Der Forstmeister in Candern wollte es mit seiner Frau Schwägerinn scharf nehmen, ob sie gleich gegen ihren Mann und seine Familie immer sehr sanftmüthig und edel handelte, unter andern fahndete er auf verhelte Errungenschaften und trieb die Witwe bis zum Manifestationseid. Da manifestirte sie unter anderm auch ein Testament, das sie zu seinem und seiner Familie Gunsten noch bei Lebzeit des Mannes gemacht und in Rastadt beym H[of] Gericht hinterlegt hatte. Gestern kam es auf ihr Verlangen zurück, wurde feyerlich eröfnet und dann that die beleidigte Testamentmacherin vor Urkundpersonen und Zeugen, auch dem Sachwalter des F.[orst] M.[eisters] einen Schnitt in 86000 fl. — Möchte ich euch keine schlimmere Kunde zu geben haben! Euer Peterson lag an hitzigem Fieber in Baden und sprang vorgestern in einem unglücklichen Augenblick, wo man ihn trotz der Warnung des Arztes allein ließ, aus dem 3ten Stock des hohen Schlosses zum Fenster hinaus. Er lebt, auch hört man nicht, daß er sterben werde, ist aber an allen Gliedern iämmerlich zerbrochen und zerschmettert, und Schrickel meint, es wäre zum großen Unglück noch das kleine Glück gewesen, wenn er sogleich tod geblieben wäre. Es ist mir sehr leid für den braven Menschen, für seine Familie und für die Schule, wenn wir ihn verliehren werden. Der Desegelesgeinet hat nicht viel solche Diakonen und Candidaten zum Fenster hinauszuwerfen.

Künftige Woche kommen die all. Gedichte und folglich auch du zum 4ten mal unter den Preßbengel. Schrei nicht, es ist bald vorüber. Der Calender auf 1809 wird, wenns keine Hinderung gibt, diesen Monath noch fertig. Er bekommt 4. schöne Holzschnitte von Hegi und wenn ich's durchsetzen kann 7. Bogen. Volz in Bruchsal ist krank. So bedenklich ieder Anfall auf seine Brust scheint, so unbedenklich scheint er zu seyn, weil er sie oft hat, und sich allemal wieder erholt, aber einer freylich wird einmal der letzte seyn. Doch hält man ihn für iezt noch nicht gefährlich. Ob er mir eine Rekapitulation von Rötteln halten mußte, wie schauselig war er! Wie hörselig und mitlaufselig war ich! Wie hab ich ihm den Gedächtnißkasten, so voll er war, ausgeleert und mit dem Zünglein der Fragseligkeit, was ihm in die tiefste Chlimse gefallen war, herausgehäckelt, und iedes Bruchstücklein, iede haltungslos herumschwimmende Reminiscenz an ihrem Platz aufgekleibt, bis die ganze Scene und alle schönen Bilder und Situationen klar und rosenfarbig vor den Augen standen, und mir niemand mehr drinn fehlte, als ich selber. Gott gebe dir und deinen Lieben, groß und klein, die ich herzlich grüße, viel schöne Tage, und ein festes Herz zum heitern Blick ins Weltgetümmel und in die Wolken am Horizont. Mit unveränderter Herzensliebe

Dein Freund    J. P. Parm.             


d. 13ten.  P[eterson] ist nun gestorben, man behauptet an den Folgen der Krankheit, ohne Zweifel zu Beruhigung der Mutter.

 

 

  zurück zur Briefübersicht

 

nach oben