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AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

   

d. 15ten Nov. [1808]     

Hier stets noch beym Alten, lieber Alter; obgleich lezten Samsttag der Pulverturm hat sollen angezündet werden. Wenigstens wurden schnell die Wachen dabey verstärkt, und sind es vielleicht noch: das Publikum nimmt keine Notiz davon, ausgenommen, wer gern lacht. Ohne Zweifel hat auch wohl die Comandantschaft selber nicht an die Anzeige geglaubt, sondern mehr nach militärischer Regel gehandelt und aus löblicher Vorsicht. Die Gefangenen sitzen noch scharf verwacht. Doch darf Fein wegen körperlichen Bedürfnißen in Begleitung seines Officirs, und ohne mit iemand zu reden spatziren gehn. Im Stockhaus werden unterdessen honette Quartire zu recht gemacht, doch wissen die Maurer nicht für wen. Der Gegenstand ihres Staatsverbrechens soll eine neue Organisation des Landes, der Sturz der pfälzischen und adelichen Ministerial Parthie und die Wideranstellung der alten Räthe seyn. Herzog sollte Cabinetsminister Brauer M. des Innern, Meier M. des Aeußern, Sternheim Finanzminister werden. Möglich und wahrscheinlich. Doch steckt wohl noch etwas tieferes und ernsteres darunter, das die Zeit aufklären wird.

Laß uns dieses Faß einsweilen zuspunden und ein anderes anstechen, aus dem es geistiger fließt. Mad. Hendel gab am Abend vor ihrer Abreise (was sie dem russischen Gesandten, wie man sagt für 20 Louisd'or abgeschlagen hatte) ihren Freunden und den hiesigen Künstlern aus Wohlwollen eine Kunstvorstellung, deren Effeckt keinen Namen hat, und die sie wohl nie vor einem gemischten Publikum öffentlich preis gibt. Gewiß interessirt dich auch die kalte trockene Notiz davon. Es waren fast lauter Copien alter Kunst und neue Ideale für den Bildhauer und Mahler und Seelenlabung für den Menschen. Zuerst eine Reihe von Madonna Bildern. Alles stumme Pantomime, Attitüde und Gruppirung. — Maria vor dem Engel, der ihr die Empfängniß verkündet, — dieselbe zweimal als Mutter mit dem Kind auf dem Schooß gedacht; das Widerfinden im Tempel — Maria bey der Kreutzigung — dieselbe neben dem abgenommenen Leichnam, dieselbe ihrem Sohn nachschauend bey der Himmelfahrt. Dis alles wie es scheint nach eigner Phantasie, dann ein paar Madonnen Bilder nach Albrecht Dürer bey welchen mich ein religiöses Gefühl durchzitterte, in welchem Grade ich es noch nie empfand. — Im 2ten Akt zauberte sie die Zuschauer aus dem heiligen Land nach Griechenland und Rom. Vorzüglich waren Niobe, Galathea, Andromache, Cassandra, Virginia, Arria. Auch hier kein Wort, als ein halblautes, in sich selbst ersterbendes Paete non dolet. Zum Beschluß eine betende Mohamedanerinn. Im dritten Akt tragische Momente aus Makbeth und Ignes von Castro mit Wortbegleitung. Nach der Vorstellung nahm sie noch ein Abschiedsmal von einigen Freunden an, bey welchem auch Fränzl aus München war, und wobey ich mich auf ihr unwiderstehliches Verlangen mit der Deklamation des Nachtwächters und des Morgensterns blamiren mußte. Das Beste daran kann gewesen seyn, daß ich bey der Stelle: „er möcht em gern e Schmützli ge" die Deklamation mit züchtiger Aktion begleitete, und bey der Stelle „Er rüeft sim Sternli Bhüti Gott" mit einem Affettuoso aufhörte. Aber wie iedes Fäßlein am End trüb lauft, so führt der Desegelesgeinet am nemlichen Tag die Madame Bürger in die Stadt, die einen Monat hier bleiben will. Sie will hier unter anderm auch allem. Gedichte deklamiren und ich mußte sie, weil sie keine Warnung annimmt, schon eine Stunde lang in der Probe ab und anhören. Morgen geht der Teufel los. Ich will aber heute noch den Brief so zusigeln, daß ich ihn selber gewiß nimmer aufbringe, und will Morgen in meine eigenen Ohren fluchen, nicht in die Deinigen. Sieh lieber Zenoides, so lieb hab ich dich, daß ich dir gerne mein Festliches mittheile und meine Leiden allein trage. Gott bewahre dich vor poetischen Weibsleuten.

J. P. H.       

 

 

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der Pulverturm . . .: Mißglückter Staatsstreichversuch
des Polizeidirektors von Sternbayn.

Paete, non dolet: Paetus, es schmerzt nicht.
Plinius, Epistolae III, 16, 6.

Ignes von Castro: Schauspiel von
Friedrich Julius Heinrich Reichsgraf von Soden.
Desegelesgeinet: proteusisch für Dengelesgeist.

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