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AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

   

d. 21. Aug. [1806]          

Bald lern ich dir ab, mein Theuerster, wie man der Ober-Postamtskasse durch Verzögerlichkeit der Korrespondenz die Revenuen schmälert, ist aber nicht bös gemeint, und kein Mensch anders dran Schuld als der Dengelngeist in Trägheitsgestalt, denn gleich wie Proteus sich in alle Gestalten wandelt, so thut auch, so weit seine Macht nicht gebunden ist, sein Gegner der Denglengeinet und erscheint bald als Rheinisches Bundes Haupt, als hessischer General, als Fliegenschwarm der mich ganz entsetzlich mißhandelt, als Regimentstambour der mich fast zu tod trommelt, und wieder als Trägheit, Zaghaftigkeit, Coelibat und Ohrenbeicht, Freßdrang, Fischsucht und Floßkraft, Wakelzahn, Promotionsmaxime, Krugbier. Kurz ich lebe, webe und bin in ihm, aber lebt in mir, ohne welche Repugnanz des Innern Prinzips gegen das äußere ich schon lang in Dengelnschall aufgelöst wäre, und allnächtlich auf dem Feldberg durch die Lüfte ertönen müßte.

Welche Veränderungen, seit wir uns nicht mehr gesehn, und ich dir nicht geschrieben habe! Man kann heut zu Tage in wenig Wochen, zwar kein menschliches und genußreiches aber ein ganzes langes welthistorisches Leben, wie auf der Extrapost durchreiten. Wir haben wieder eine lange aber geschwinde Station des unsrigen zurückgelegt. Helf Gott in Gnaden weiter! So wünsche ich nemlich weil ich sehe, daß es doch immer rasch vorwärts geht. Sonst möchte ich wohl beten: Helf Gott in Gnaden zurück. —

Deinen Schweizerbotten, der bald, wenn dem hiesigen heißhungrigen unersättlichen Bierpublikum zu glauben ist, auch noch unser Landsmann werden muß, hab ich mit Vergnügen durchmustert, und sende dir denselben mit nächster guter Gelegenheit dankbar zurück. Das Durchlesen einer solchen Zeitschrift, wenn man einen ganzen gebundenen Jahrgang vor sich hat, hält man freilich nicht aus, manches wird interesselos durch die veränderten Zeitumstände, manches scheint fade zu seyn von Haus aus. Ein anders ist es, wenn mans lesen kann, wie es herauskommt, alle Woche ein Blatt, feucht unter der Presse weg. — Mit was für Augen siehst du die seit dem Jul. herauskommende Badische Wochenschrift an? Ohne daran mitzuarbeiten interessire ich mich sehr dafür, weil so etwas für unser, uns selbst noch wenig gekanntes Land großes Bedürfniß ist. Aber nach meinem Urtheil beginnt doch dieses Blatt gar zu kläglich arm und leer. Man merkt daß der Herausgeber kein Oktavblatt an Materialien und Vorarbeit in den Händen haben muß, sondern von einer Woche zur andern etwas aus dem Gedächtniß oder der Laune hinwirft und in die Welt schickt, und Voß mit seinen Relationen von Heiligenstadt und mit seinen Erndteliedern scheint dem armen Kindlein nicht aufzuhelfen, wenn nicht das Freyburger Intelligenzblatt fortfahrt gute Aufsätze zum zweiten Abdruck zu liefern.

Ich habe vor wenig Tagen die Freundschaftsblätter zu Hubers Andenken gelesen. Sie müßen schön und rührend seyn für gleichgestimmte Seelen ienes unsichtbaren Kirchleins, besonders das Vorspiel der himmlischen Comoedia. Es ist auffallend, aber doch nicht schwer zu erklären, daß diese Parthie, die für das Heilige und Himlische einen so zarten Sinn hat oder zu haben sich anmaßt, das Gröste und Heiligste und Unaussprechbarste, das erste Erwachen und Schauen in der höhern Welt sich phantasiren und noch gar, dramatisch, und nicht mit Geist darstellen mag, wovon ieden andern Bekenner und Verehrer des Heiligen in und über uns Zartgefühl und Ehrfurcht abwarnen würde. Doch es sey nichts zu Spott und Tadel gesagt. Ich beneide diese Menschen um ihren Glauben, und um ihre Gefühle und um ihre Energie zum Dulden und Hoffen, die man in diesen Tagen wohl brauchen kann.

Aber wie stehts in deinem stillen häuslichen Mikrokosmus, im Schatten deiner Acacien und Haselstauden? Wie streckt sich mein kleiner Pathe? Saß ihm noch keine hybläische Biene auf den Lippen? Bieten sich Bachus und Pomana über deine Hügel freundlich und segnend die Hände? Möge ein reiches Füllhorn über euch schweben, und die Aeolsharfe in deinem Herzen nie verstummen. Meinen Gruß der frommen Taube und dem Thal.

Dein redl. Freund     Hebel              

 

 

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