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AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

   

Da das Neueste, o Zenoides, nur so lange sein höchstes Interesse hat, als es neu ist, so will ich dir einiges von der neuen Erscheinung mittheilen, die unsere Stadt erfreut. Man machte sich keine große Erwartung von der Prinzessinn Adrienne, weil gar keine Lobpreisungen von Paris herkommen wollten. Noch bey dem Einzüge schien mehr Neugierde und Pflicht als Theilnehmung und Freude die Gemüther und Beine zu bewegen. Gott weiß, dachte ich, als der Wagen durch das Thor einfuhr, was für Wohl oder Weh für uns in dieser Chaise sizt, und freilich weiß es auch bis auf diese Stunde noch niemand als Gott. Aber die neue Prinzessinn hat gestern als sie die Aufwartungen von uns annahm allgemein überrascht, und iedermann für sich gewonnen. Im einfachen weißen Gewand mit einigen Blumen in dem Geflecht der Haare, die man spitzbübischer Weise für roth ausgegeben hatte, da sie doch bräunlich sind, stand sie mehr mit Jugendlicher und Jungfräulicher Anmuth als mit fürstlicher Würde ungezwungen unverlegen da, nahm die Bewillkommnungskomplimente freundlich an, und sprach, aus den Minen zu schließen, viel Artiges, das ich nicht verstand. Sie hat mittelmäßige Größe, gegen das kleine hinneigend, ein gesundes Aussehen, ein bedeutendes Auge, und wurde von den Meisten für schön gehalten. Schwerer zu befridigende Kenner gestehn wenigstens, daß ihre Anmuth an das Schöne gränze. Spec. Volz gab ihr heute schon im Kirchengebet das Prädikat der Liebenswürdigen. Von Temperament soll sie sehr lebhaft und frölich seyn, eine Virtuose im Clavier. D. Gmelin glaubt an ihr eine Schutzheilige gefunden zu haben, denn sie war schon in der Steinschleiferey, und äußerte (wie er wenigstens sagt) das Verlangen nach einem Verzeichnis der Landesmineralien. Schon am ersten Abend soll sie über der Tafel den lieben alten Herrn auf das Angenehmste unterhalten haben. Die Marggrävinn ist in Darmstadt und kam nicht zum Empfang. Viel tragt es zur Freude über die Ankunft bey, daß sie nur das nothwendigste Gefolge ihrer Nation mitgebracht hat und einen einzigen männlichen Geschlechts, ihren Cammerdiener. Zwey kayserliche Kammerherrn, die sie begleiteten gehn zurück. Sogar zu ihrem Beichtvatter wählte sie gestern einen sich hier schon lange aufhaltenden und wohl gelittenen Emigre, der bisher am Gymnasium französischen Unterricht ertheilte, unter dem Hofkaplan. Heute um 9 Uhr fuhr sie in die katholische Kirche, und es hieß, daß sie um 10 Uhr in die Schloßkirche kommen würde. Gott gebe, daß alle guten Wünsche und Erwartungen erfüllt werden. Der Churfürst ist so gut hergestellt daß er wieder im Bett schlaft. Man hofft die iunge Herrschaft werde bleiben.

Heute nach Tisch bekam ich deinen Brief mit dem Paket. Einsweilen meinen freundlichen Dank. Nächstens die Antwort. Gruß und Kuß allen deinen Lieben.

D. 6ten Jul[i 1806].                                                                 J. P. Parm.  

 

 

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Prinzessinn Adrienne: Hebel nahm am 5. Juli an
einer festlichen Vorstellung bei Hofe teil, die zu Ehren
von Stephanie Beauharnais (der Gattin des badischen
Kurprinzen Karl), die am Abend des 4. Juli in
der Residenz eingetroffen war, stattfand.
die Markgrävinn ist in Darmstadt: Markgräfin Amalie,
Gegnerin dieser Heirat, hatte die Niederkunft
 ihrer Tochter Wilhelmine Luise, die mit dem
hessischen Thronfolger Ludwig vermählt war,
zum Anlaß genommen, dem „Debüt" ihrer
Schwiegertochter auszuweichen.

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