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AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

   

 

[September 1804]      

(Hier fangts an)                                                                

Drum muß man seine Geschäfte zu rangiren wissen, und alles zur rechten Zeit thun. Man muß nicht sagen: Ich habe alle Tage Zeit, darum will ich dem Professor Hebel morgen schreiben, sondern so: Ich habe alle Tage Zeit, darum will ich ihm heute schreiben. Hättest du's so gemacht, o Zenoides, so hätt ich dir früher etwas aus dem dishalbiährigen Heidelberger Universitäts Lektionenplan zum besten gegeben, Z. B. daß der Professor Dereser (für 1100 fl.) die Hebräische Sprachlehre nach „Alexius" list, Herr Prof. Rudel aber, ein ominöser Name, die griechische nach Trendlenburg vorträgt und zu den Leseübungen „Gedickes griechisches Lesebuch" benuzt! Aber das sind lauter Kleinigkeiten, denn D. Ewald ist hier. Ich war gestern mit Walz, Sander, Gockel, Kühlenthal und Sp. Volz zu Brauer invitirt. Da trat er herein, ein eleganter und unterhaltender Mann, ein Mann von sehr bearbeiteter Außenseite, ein Mann von dem man in den ersten par Minuten sagen kann, er verbirgt seine innere Gestalt und Farbe. Es war ein sonderbares Beysamenseyn. Der Diskours konnte zu keiner Wärme und zu keinem Interesse gedeihen, obgleich er von 6 — 10 Uhr zwischen Bier und Taback, und dann zwischen einem freien stehenden Nachtessen und Rothem, und dann wieder zwischen Punsch und Taback durchgezogen wurde. Es war an kein Festhalten und kein Eindringen, an keine neue Idee oder Ansicht einer alten zu denken. Wenn Ew. nicht von Bremen von seiner Reise und von sich sprach, so wars als ob man zusammen gekommen wäre, um sich gegenseitig zu verstehen zu geben, daß man die par neuesten Bände der berl. Bibliothek auch durchgeblättert, und die Universitätschronik in dem Intell. Blatt der Lit. Zeit, gelesen habe. Ich glaube, daß wir alle den wirklichen, aber nicht den wahren D. Ewald gesehen haben. Auf mich that er wenigstens nicht
die Wirkung, wie andere Geweihte vom heiligen Reich Gottes, die wie aus einer andern Welt zu uns zu kommen scheinen, und die Bürgschaft einer andern Welt uns mit
Blick und Ton und Wort ins Herz zu legen wissen. So einen hab ich diesen Sommer
in Baden — nicht gesprochen, aber gesehen, und erkannt für das was er ist. Er zog unter dem großen Gewühl von Badegästen aller Art zu erst meine Aufmerksamkeit an sich und hielt sie, wo er zu sehen war ausschließend fest. Ich taxirte ihn zu erst nach einem dunkeln Gefühl für einen wallonischen Geistlichen. An der Tafel giengs mir wie ein Licht in der Seele auf, daß Stilling im „Heimweh" sagt, die ächten Jünger Jesu (in seinem Sinne) haben etwas in Mine und Haltung, das sie auf den ersten Blick kennbar macht und nicht nur von den übrigen Menschen, sondern selbst von den frömmelnden und spielenden Lammes Jüngern sicher unterscheidet. So einer, dachte ich, ist dieser Mann — und ich wäre gerne auch so einer. Aber ich bin einmal in meinem Leben an ihnen vorübergegangen, und der mißverstandene Nikodemus sagt sehr richtig: Wie kann ein Mensch wieder in Mutterleib zurückkehren und von neuem gebohren werden. Ich hätte den andern Mittag gerade zu die Laufgräben gegen ihn eröfnet. Aber ich war an eine andere Table d'Hote eingeladen und fuhr nach Tisch wieder fort. Indessen kann ich dem Heinr. Stilling, wo ich ihn sehe, die Richtigkeit seiner physiognomischen Behauptung verbürgen, denn wie ich in der Folge erfuhr, war es — er selber. Eine Minute unter solchen Menschen schaft mich zum frommen gläubigen Kinde um, das alle hebräische und griechische Weisheit und Thorheit vergißt. Und mit solcher eigenen Stimmung freut es mich, daß du einen Mysticismus zum religiösen Glauben für nöthig haltest. Nur sollten wirs nicht sagen, denn wir solltens nicht wissen, wir sollten Mysticismus haben, und es nicht wissen, wir sollten gar keinen Namen, wenigstens keinen griechischen Terminus technikus dafür haben. Denn dadurch wird ein so stilles heimliches Hausgespenstlein leicht beschrien, wenn man ihm seinen Namen nennt, und ie mehr wir von Myst. reden und schreiben, desto leichter steigt er aus dem Herzen, wo er still und ruhig wirkt, in den Kopf, wo er lauter Unfug treibt. Dis wird nun freilich der Fall bey euch nicht seyn, im Gegentheil wird die Untersuchung und Behandlung deiner Fragen viel interessante und fruchtbare Ideen wecken.

Die Beantwortung der 3ten Frage hast du etwas leicht gemacht. Es scheint mir, sie liege schon in der Frage selbst ausgedrückt. Zur 5 ten gefällt mir immer die Erklärung: „Sie blib im Salzpful stekken." grafik Diese Erklärung ist desto zulässiger, da grafik in keiner andern Stelle in der Bedeutung einer Säule vorkommt, und Grafik in Grafik nach dem Sprachgebrauch leicht ausgelassen werden konnte. Auch Christus, Luc. 17, 32 scheint es so zu denken. Fürs erste sagt er nichts von einer Salzsäule. Fürs andere  Loths Weib eher zu einem warnenden Beyspiel für V. 31 und 33 zu passen, wenn sie versunken ist, als wenn sie mit einer Salzkruste überzogen worden, oder gar ein Monument von Salzstein zu ihrem Andenken aufgerichtet worden. Der Zuhörer könnte sagen: "Das war ein außerordentlicher Fall, und wie es scheint gar ein Wunder, wenigstens konnte sie bey ihrer Rückkehr so etwas ahnden." Und er hätte recht. Aber in iener Gegend und damals und in der Morgendämmerung war es kein außerordentlicher Zufall in einem Pful zu versinken. Und so paßt das Beispiel sehr einleuchtend und sprechend für den Satz: "Wer sich in Gefahr begibt, kommt darinn um." Zwar scheint die Salzsäule nach dem Exil noch gestanden zu haben Buch d. Weisheit Kap. 21. Allein aus dieser Stelle folgt weiter nichts, als daß damals ein Salzfels im Felde stand, den man für die versteinerte Patriarchen Frau hielt. So haben die Griechen auch eine versteinte Niobe, wie uns Professor Rüdel aus seinem griechischen Lesebuch beweisen kann. Ich werde nächstens der theol. Gesellschaft, wenn sie es gütig annehmen will wieder einige Gedanken, und zwar über den Dieb in der Nacht mittheilen. Ich werde wenn sies gütig aufnehmen will, in Zukunft überhaupt aus der regellosen und unsichern Cometenbahn in einen regelmäßigen Planetencyclus einschreiten und alle halbe Jahr, wenn ich nicht selber komme einem heimeilenden Kind der Musen und des Oberlandes etwas derartiges mitgeben, und das hochlöbliche Sekretariat der erlauchten theol. Gesellschaft könnte wohl einmal einem solchen eine kleine Ladung aus dem Archive der Gesellsch. als Rückfracht zur Mittheilung wieder mitgeben.

Deine bündige und interessante Berichterstattung über Pestalozzi's Methode hat mir Sander zu lesen gegeben und hält sie auch dafür. Er hat mir auch seinen Bericht dazu versprochen, den ich aber noch nicht erhalten habe. Doch weiß ich, daß er des Urtheils ist, das du ihm auch vorgearbeitet hast, daß vor der Hand in unsern öffentlichen Schulen nicht wohl eine Anwendung von der neuen Kunst zu machen oder zu empfehlen sey.

Gerne, gerne käm ich in wenigen Wochen selbst zu euch, ihr Guten, um froh und coseselig bey euch zu seyn, und über das und andres mit dir zu sprechen und zu schnackein. Aber zu anderen Abhaltungen kommt dismal mein Auszug, der in die Ferien fällt, und den ich kaum würde verschieben können, weil auf mein Logis alsdann schon wieder ein anderer wartet. Einmal werde ich euch doch wiedersehen und begrüßen ihr heiligen Haine des Proteus ihr lieblichen heimischen Auen, ihr guten Menschen darinn, und dich zum erstenmal, du kleine zirpende Proteuserinn. Küsse und grüße mir sie und die Mutter, und nimms an dir selber ab, was dein Nächster gerne hat, wenn ich dir dismal zu lange nicht geschrieben habe. Mit gutem Blut und Herzen    

Dein Parmenid.           


O Zenoides!                    

Sag, sind wir den beide so völlig verrostet,
und baden doch hybläischen Honig gekostet,
laufen in Prosa zu Fuß durch die Zeiten,
und könnten auf Jamben und Sechsfüßen reiten
saufen des Wassers mit andern Milonen,
und lassen verschimmeln des Punsches Citronen?
In Steinebrunners Gestalten gewoben
haben uns des Proteus Engel umschwoben?
Wie? Sind wir auf dem Belchen gewesen.
und haben im großen Psalter gelesen.
und als die Senstel den Augen entschwanden,
haben wir das Hallelujah verstanden
das krachende Eichen und stürmende Tannen
dem Nie gesehenen zu singen begannen,
und schlagen noch knechtisch das Ruder und schwitzen
statt im aetherischen Luftball zu sitzen,
und unter des Himmels vergoldeten Nägeln
im lieblichen Schwanken des Reimes zu segeln.
So reim dich denn, oder
ich friß dich, und so der
Apostel Johannes
auf Befehl eines Mannes
Auf einmal ein Büchlein
verschlang, wie ein Küchlein,
so mache das Ersticken
mir auch keine Sorgen.
Den Pfarrer der Kemser
stach tief eine Brems'. Er
Kann zur Bischofinger
Tragödie, „der Springer"
benamset in kurzer Eil
spielen den zweiten Theil.
Mich dauert der arme in seiner Verblendniß.
Gott helf ihm in Gnaden
zu Brod und Erkentniß
Und heile den Schaden.
Mit Liebe und Freude (der Luftballon steiget,
lang schwankt' er gefährlich,
und hob sich beschwerlich)
hat KR. Sander etwas Junges gezeuget.
In selige Schöpfergefühle verlohren
hat er einen neuen Trabanten gebohren,
wenns erlaubt ist zu sagen, daß nur die Lycäen
um die verkohlte Sonne am Neckar sich drehen,
die Pädagogia auswärts hingegen
als Monde sich um die Lycäen bewegen.
Mit Reitzen der Jugend geziert
Von freundlichen Horen geführt
tritt Lahr in die kreisnden Bahnen.
Nun möcht ich dich, Lieber, ermahnen:
du hattest mir einst von dem Büchlein geschrieben,
nach welchem du selbst Physik hast getrieben,
(heißt's Krüger, heißt's Brünnig, ich weiß nit mehr)
Als du noch in deinem wohlthätigen Schein
der Mann im Lörracher Monde zu seyn,
genossest die Ehr.
So ein Büchlein das hätten wir gern,
für den neuen lachenden Stern,
und suchen wohl eins,
und finden doch keins
das kurz und iugendlieb wär.
Drum möchte Herr Sander das deine gern sehn
eh er tauft eine Kap in dem Sack
und weil er demnächst wird ins Oberland gehn
und rauchen manch Pfeiflein Tabak
so trags doch, o Lieber
nach Lörrach hinüber
Herr Special Kray wird so gütig dann seyn
und mit Aufschrift und Siegel des Amtes es weihn
Damit es ohne weitere Kosten
durch die Turn und Taxische Posten
An das Specialatamt in Hochberg lauf ein!
Was da haben die Männer in Baden gemacht?
(auch ich Hab Träum' und Gesichter)
Jung warf in die Apokalyptische Nacht
ein par schöne romantische Lichter.
Da lagen die Auen gedehnt,
nach denen das Heimweh sich sehnt.
Hingegen Herr Fein
warf Schwärmer drein.
Da sagte Hr. Ewald: "O schont
des Leuchten! Ich bin ia der Mond!"
Wills so nicht behagen
will ich anderst es sagen.
Herr Stilling schaute ins Dunkel hinauf,
er erspäht' in der neblichtcn Ferne
Jerusalems leuchtende Sterne
da thürmte sich F. in Gewittern auf,
und umhüllte die flimmernden Sterne,
und windet' und donnerte drauf und drauf
und blizte mit Bengels Laterne.
Da löste Herr Ewald den Wetterdunst auf;
und stürzte, ein Platzregen, nieder
da strahlten die Nachtlichter wieder.
Und war die protetische Nacht
auch dismal fast dunkler gemacht
soll E. und Fein es entgelten!
den andern, den laß ich nicht schelten.
O wehe mir Armen! Ich tauche schon wieder
immer schiefer
immer tiefer
in die Wolkenschicht nieder.

Lebe wohl o Proteuser! der Urgeist umgeb dich!
das Lispeln der heiligen Buchen umschweb dich
Die Reinheit des Aethers vom Belchen durchbeb dich.

                                                              

 

 

 

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Ein ominöser Name: Hebel fühlt sieb an den
„Schwabenhammel" Riedel erinnert.
Ewald: Das harte Urteil, das Hebel hier fällt, ist später
von ihm abgemildert worden.
Dieb in der Nacht: Matth. 24, 42—44.
Berichterstattung über Pestalozzi's Methode:
Hitzig hatte dem Konsistorium einen Bericht über seine
Erfahrungen mit Pestalozzis Lehrmethode eingereicht,
mit der er in Basel bekannt geworden war.

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