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AN CHRISTOF GOTTFRIED HAUFE

   

d. 25. Merz [1809]       

Kindlein, ich hätt euch schon lange geschrieben, aber zwey Geschäfte hiengen an mir, wie Bleikugeln an den Zuchthausgefangenen. Sie raubten mir nicht nur die Stunden die ich ihnen selbst widmete, sondern auch die Zwischenzeit. Je mehr ich zu thun habe desto unmuthsvoller lasse ich alles ligen, bis der lezte Augenblick gebietet, und setze mich, um den Mann zu spielen, der mit seinen Geschäften im Reinen ist, zum Drechsler. Eines dieser Geschäfte kann der Intendant der schönen Wild- und Rheinkünste beurtheilen. Ich mußte, weil ich nicht scheinen wollte, ich könns nicht, zur musikalischen Composition einer Cantate, die vor 15. Jahren in Bayern aufgeführt ward, einen neuen Text machen, ich der ich soviel von der Musik verstehe, als der Caminfeger vom Weiß bleichen. In 4. Wochen habe ich bis gestern 2 Terzette, 1 Sopran, 1 Tenor, 1 Baß Arie, zwey Duette, und 4 Recitative gebohren oder gelegt. Ich mußte einen Gegenstand der eine feierliche Behandlung erforderte, für eine leichte lachende Musik bearbeiten, in iede Arie natürlich ebensoviel Verse, in ieden Vers eben so viel Zeilen, oft wegen der Repetition und den Wechselstimmen im Duett in jede Zeile eben so viele und eben so lange oder kurze Wörter bringen als der OriginalText hat, an einen erkleklichen Streckvers war nicht zu denken, und welche Sylben eine Singpassage haben, in denen durfte vollends kein i kein u etc. vorkommen. Ob das ein Geschäft sey, ob man daneben Briefe schreiben kann. Der Minister spreche. In 14 — 16 Tagen soll die Cant. aufgeführt werden. Wenn sie Beyfall findet, so ists mir recht, wo nicht so laß ich sie drucken, um wenigstens bei einem genügsamem Theil des Publikums noch ein Lorbeerreislein zu erndten. Wir Poeten haltens so. Wenn uns etwas mißlingt, so lassen wirs drucken. Ihr bekommt also die Cantate auf keinen Fall von mir zu sehen, weder wenn sie Glück macht, noch wenn sie gedruckt wird!

Sie haben wohl einen lieben freundlichen Gedanken, beste Fr. Sophie, mich zum Täufer Gustavs des Kleinen, (denn die Geschichte hat auch einen Großen), zu machen. Aber ob es mir möglich seyn wird, dismal zu euch zu kommen, steht im zweiten Feld, oder vielmehr leider im engen. Die Vakanz dauert dismal — für mich — höchstens 14. Tage. In diesen Zeitraum fallen 3. Geschäfte die meine Gegenwart erfordern und deren Zeitbestimmung nicht von mir dependirt. I. Die Beeidigung der abgehenden Studenten, dependirt vom Consistorium. 2. Das Examen der Schulseminaristen, ebenso und von der Stadtgeistlichkeit, die sich dabey zu versammeln hat. 3. Das Examen des Durlacher Pädagogii. Mehr als Ein Entschuldigungsgrund macht sonst die Entschuldigung selbst verdächtig. Die Menge derselben verrathet, daß man sie suche, und kein ganz unglückliches Talent habe. Allein, wahr muß wahr bleiben. Also kommt noch das 2 te hinzu. Biß längstens Mitte Aprils soll das neue Museum, d. i. die erweiterte Lese-Concert-Casino-Ballgesellschaft von 160 Personen, ohne die Frauen und Töchter eröffnet und eingeweiht werden. Ich gehöre selb 7 zu der Commission, die alles dazu anordnet und vorbereitet. Notabene wir haben ein eigenes ganz neu gebautes 4 stöckiges Haus auf dem Marktplatz dazu gemiethet meubliren alles selber mit Tischen, Stühlen, Spiegeln, Cronleuchtern, Clavierflügeln, Billard etc. Noch ist das meiste zu thun, da gibt es alle Augenblicke Sessionen und Berathschlagungen über das Oekonomische, über das Artistische, über das Literarische, über die Gesetze, über die Aufnahme neuer Mitglieder etc. Anfragen und Antworten, Vorschläge und Bestellungen, bey denen ich theils sein muß, theils nicht gerne fehlen möchte. Wenn es mir daher nicht möglich werden kann dismal hinauf zu kommen, Kleiner Gustav, so gebe ich dir hiemit schriftlich meinen Segen, denn ich will doch im Geiste dein Täufer seyn, und mein Vicejohannes taufe dich warm und fromm und weihe dich mit Geist und Kraft zu allen Tugenden und Freuden und Hoffnungen der Religion ein, der du angehören wirst.

Wenn wir doch nur Wiedertäufer wären, liebe Sophie, so könnte ich vielleicht wohl in den Sommerferien, statt selber in ein Bad zu gehen, hinaufkommen und den Vicegetauften noch ein mal legen in das Wasserbad im Wort, wie St. Paulus sagt.

Zu meinem Trost aber finde ich, daß in der christlichen Kirchenlehre zwar die Wiedertäufer, aber nicht die WiederGebährenden zu den Ketzern gehören. Vielmehr sagt die Schrift: Das Weib wird selig durch Kinder zeugen, so sie bleibt im Glauben, und in der Liebe und in der Geduld. Und als die edle Moabiterinn mit ihrem Gemahl in das Brautgemach gieng wie sagten zu ihr die Frauen von Bethlehem? Es steht zu lesen im Büchlein Ruth, dem grünen. Mein Taufmäuslein soll meinem Täufling fleißig an die Wiege sitzen, damit die Mutter fleißig an den Täufer schreiben kann, wie sich beide halten, und wachsen und gedeihen, und mit einander Duette krähen. Gott behalte euch in seinem heiligen Schutz.

J.P.H.                     

 

 

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