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AN CARL CHRISTIAN GMELIN

   

Theuerster Herr Doktor!

Wie soll ich mich gegen Ihnen rechtfertigen für eine zwiefache Schuld? Zwar für die eine hätt' ich schon Grund der Entschuldigung genug, wenn ich mir nur dadurch die Rechtfertigung gegen die andere nicht desto schwerer machte.

Ich habe Sie lange auf Antwort warten lassen — Warum? Ich wollte Ihnen nicht eher schreiben, biß ich im Stande wäre, durch Uebersendung der topographischen Landesbeschreibung Ihre Wünsche zu erfüllen, und schicke Ihnen dieselbe nun doch nicht. Wie leid wäre es mir, wenn ich damit Sie zum Mißvergnügen oder gar zu einigem Mißtrauen in meine Bereitwilligkeit allen Ihren Wünschen entgegen zu kommen veranlassen sollte. Ich habe einen kleinen Aufsatz versucht, der einen kleinen geographischen Umriß des Vatterlandes, und eine etwas speciellere Beschreibung von demienigen Theil des O.[ber] A.[mts] Rötteln enthalten sollte, der mir durch eigenen Aufenthalt und kleine Wanderungen durch eigenes Anschauen bekannt wurde. Aber ich fühlte bald zu sehr, daß es allen meinen Angaben an Zuverlässigkeit, an Vollständigkeit und Uebersicht fehlte, daß es meinen Zusammenstellungen eben so an Plan und Ordnungen fehlte, als meinen ehemaligen Streifzügen, die nur durch Laune Zufall und Umstände bestimmt und geleitet wurden, daß Sie das alles, was ich Ihnen darinn mittheilen konnte, selber und viel beßer und viel vollständiger wissen müsen, und viel zweckmäsiger zusammen rangiren können, kurz daß das ganze sich von keiner Seite zur Aufnahme in Ihr vortreffliches Werk qualificire, oder zu den Vollkommenheiten desselben etwas beitragen könne — so sehr und lebhaft fühlte ich das alles, daß ich den schwachen Versuch schon lange wieder weggeworfen, und bei meiner eingeschränkten Muße und meinen wenigen Hülfsquellen, als da sind b.[adische] Adreßkalender, eine Landcharte vom schwäbischen Kreis, und geographische Handbücher von ausländischen Verfaßern, etwas beßres zu Stande zu bringen alle Hoffnung aufgab.

Ich machte daher den Plan dem Pfarrer Tulla etwas wenigstens von Materialien abzulocken. Schon lange hatte er im Format eines Tischtuchs zu 20 Gedecken eine Tabelle über das Wirtembergische Land verfertigt, die in so vielen Rubricken, als das Ungeheuer von einer Tabelle zu faßen vermochte, alle Aemter, Städte, Flecken, Flüße, Bäder, Seen, Berge des Landes, den Quadrat Inhalt Jedes Amtes, die Volkszahl, die Merkwürdigkeiten, die Amtsdienste etc. enthielt, und ich wußte, daß er nach Beendigung derselben eine ähnliche über das badische Land zu entwerfen angefangen hatte. Schon seit einigen Wochen und besonders seit ihrem lezten Brief buhlte ich daher auf alle mögliche Art um sein Zutrauen, in der Hofnung, daß er mir seine Arbeit fürs erste zeigen, und wenn ich sie recht lobte und interessant fände auf einige Tage mittheilen würde. Der gestrige Tag war zum Sturmlaufen bestimmt, nachdem ich alle Trancheen eröfnet hatte. Aber wie stand ich da, so verklommen, als ich — keine Festung zum Erobern antraf. Ein halbes Duzend einzelne, nach Kreuz und Quer linirte Bögen, mit Fächern und Quadraten ohne Zahl, und kaum der 16te Theil von allen nothdürftig ausgefüllt. Er klagt wie ich, über Mangel an Vorarbeiten und Hülfsquellen, und zu dem über die Sprödigkeit an den Behörden und Stellen, wo man ihm mit Datis an die Hand gehen könnte, aber es nicht thut.

Was ist zu thun liebster H. Dr.! Soll ich Ihnen wenigstens einen Adreßkalender, oder einen Auszug daraus über alle Aemter und die dahin gehörigen Ortschaften zu schicken? Die kleine Mühe soll mich nicht verdrießen. Oder was soll ich sonst thun? Von Herzen gern alles, was ich im Stande bin, und womit ich Sie überzeugen kann, daß es mir an gutem Willen nicht fehlt, und daß ich nie vergesse, mit welcher Freundschaft und Gefälligkeit Sie so manchem meiner Wünsche begegneten.

Der H. Erbprinz hat Ihren Brief erhalten freut sich daß alles so ordentlich und in gutem Stande ist, und hätte Ihnen selber geantwortet, wenn ihn nicht gerade die Unruhen und Flucht daran gehindert hätten; das soll ich Ihnen auf seinen Befehl nebst seinem gnädigen Kompliment nicht verhalten.

Den Theil der geflüchteten Naturalien, welcher im Gymnasium dem Staub den Mäusen dem Rauch ausgesezt war hab ich nach abgewendeter Gefahr des Kriegs wieder in das Cabinet gebracht. Der Rest bleibt auf des Prinzen Befehl an Ort und Stelle, damits schon dort ist, wenn die Franzosi etwa wieder kommen.

In den Vorlesungen bin ich bis zu den Insekten avancirt die B. 6. D 12/31. P 13. V 2.
A 19. C 10 haben mich mächtig kuranzt; zum Glück hat mich keiner gefragt, was die Brüche bedeuten. Hätts wahrhaftig nicht zu sagen gewußt, ob etwa die obere Zahl Stachelgräte und die untere weiche Gräten bedeuten thäte, oder was sonst. Ueberhaupt bin ich oft sehr in der Klemme, und schwitze im wahren Verstand wie — natürlich wie ein Präceptor!

Gestern war bei Hof großer Maskenball, es war der Carlstag. Der alte Kapellm.[eister] Schmidtbauer kam als Nachtwächter — ohne weitere Unkosten in einem gelehnten Nachtwächters oder Bettelvogts Rock, mit der Laterne, lief durch den Saal und rief in veredelter Nachtwächtersmelodie nach einem eigends verfertigten, auf die Festlichkeit passenden Text, die Stunde; der Schluß war: Gott geb uns Frieden — statt: wohl um die Zwölfe. Obristwachtmeister Medikus führte als Schichtmeister, mit der Laute in der Hand ein Bergknappengesellschaft — lauter iunge Officirs auf, ieder mit einem Instrument, die ein wenig dudelten und dann in Bergmannssprache und Ton ebenfalls ein frohes Feyerlied zu Ehren des Marggr.[afen] und zur angenehmen Abwechslung absangen; das Korps der hier herumliegenden K. K. Officirs hatte den Marggr. auf dem Weg in die Redoute mit einer hingestellten illuminirten Pyramide, die eine kurze, einfache, aber sehr niedliche lapidarische Inschrift enthielt, angenehm überrascht.

Ueberhaupt wird hier im Winter mit Ju He! und Heisassa! zugebracht. Wir habens nöthig.

Auch sind am Karlstag große Awangsemangs bey der Parade publicirt worden, v. Rabenau Obristlieutenant. v. Olizgi Major. Adiutant Götz Hauptmann etc. Die Kommandantenstelle ist, so viel ich weiß noch nicht besezt. Warscheinlich ist sie dem Obrist v. Sandberg vorbehalten. Andre glauben, der iunge Freystädt, der sich bei dem s.[chwäbischen] Kreiskontingent einsweilen bis zum Maior mit Obr.Lieutnantscharakter emporgeschwungen hat, dürfte seinem Vatter bald in Ehre und Würde succediren.

Der gute Prof. Sander ligt wieder hart und gefährlich an seiner Intestinalkrankheit. Das Uebel spottet und trozt aller aufgebottenen Kunst, und dürfte ihn leicht — Gott wolls verhüten.

Was weiter? Ihr H. Schwager läßt Sie grüßen, er erwirbt sich durch Fleiß, sittsames und artiges Betragen, und flammenden Patriotismus immer mehr Liebe und Lob. Empfehlen Sie mich bestens Ihrer theuren lieben Frau Gemahlin, und schreiben Sie mir bald, damit ich sehe, daß Sie mir nicht böse sind. Von ganzem Herzen

Ihr Hebel           

d. 29sten Jenner [17]96.

 

 

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