zurück zur Briefübersicht |
|
||
AN CARL CHRISTIAN GMELIN |
|||
Bravo, bravo lieber Doktor! Sie greifens am rechten Ort an, nur ein wenig zu spät. Indem Sie mir Vorwürfe machen, hoffen Sie doch, vor den meinigen gedeckt zu seyn; nicht wahr, so hab ichs zu verstehn? Es ist mir nur herzlich leid, daß ich Ihnen um ein Par Tage zuvorgekommen bin. Laßen wirs ietzt aufgehoben seyn gegen einander. Die Folge wird zeigen wer von uns beiden der gerechte Theil war. Vorgestern kam ich aus dem Oberlande zurück, und Sie sind nun wohl auf viele Nachrichten aus ienen Gegenden begierig. Wärs Wunder, wenn ich Ihnen nur wenige geben könnte, da ich fast die ganze Zeit in Lörrach blockirt war, und nur den einzigen Paß in den Schweitzer Boden frey hatte? Den Gang der Hauptbegebenheiten wißen Sie. Partikularitäten verlieren sich im Großen und werden unwichtig. Also vom Zustande unsers lieben Oberlandes. Bey den unzähligen Einquartirungen und Durchzügen der französischen Truppen, die den Unterländer arm und muthlos gemacht hätten, blieben unsere Landsleute immer getrost; artig und schonlich betrugen sich auch im ganzen die Franzosen. General des Enfans der in Lörrach komandirte that dem Lande die wichtigsten Dienste. Als der Rückzug der Franzosen aus Schwaben anfing, und ein großer Theil der Armee im scheußlichsten Zustande nebst der ganzen unschäzbaren Menge der Beute und des Raubs aller Art eine Woche lang von Rheinfelden herab durch Lörrach und über den Tüllinger Berg nach Hüningen zog, fieng uns doch insgesamt zu grauen an, zumal da wir auf fleißige Erkundigungen immer hören mußten, daß der schlimmste Theil der Armee, die Arrieregarde unter General Tarreau noch zurück sey, die wie ein Kehrbesen hinter der Armee her alles rein mache. Lange harrten wir auf diese Ungeheuer, und trösteten uns mit des Enfans guten Versicherungen, daß er die Stadt gewiß bewahren, und für die Dorfschaften thun wolle was möglich sey. Indeßen hatte sich die fr. Hauptarmee durch die Hölle ins Breisgau geworfen, und so lange diese nicht über den Rhein zurück war, muste Tarreau nicht nur bei den Waldstätten und über das Gebirg bis ins Wiesenthal stehen bleiben, sondern es kam auch noch eine Colonne von 10,000 Mann die bereits nach Hüningen marschirt war, von denen wir glaubten befreyt zu seyn, wider zurück, um ienen zu verstärken, und die Passage nach Hüningen gegen die von den Waldstätten her nachdrückenden Kayserlichen für die Hauptarmee offen zu erhalten. Zum Glück war Moreaus Bleiben im Breisgau von keiner langen Dauer, aber auch zur Besorgniß für Lörrach und das Wiesenthal waren auch die Kayserlichen schon disseits Rheinfelden eine starke Stunde von Lörrach als Morr. noch einen vollen Tag zum Rückzug über die Hüninger Brücke brauchte. Dis brachte den General Tarreau zu dem Entschluß Lörr. zu besetzen und den Tüllinger Berg, das Käferholz und die Straße, welche aus dem Wiesenthal über die Thumringer Anhöhe gegen den Rhein führt, mit Kanonen zu besetzen, um die von Rheinfelden her an der entgegengesezten Anhöhe herabkommenden Kayserlichen zu empfangen, und wärs dazu gekommen, so wäre Lörrach ohne Zweifel ein beklagenswürdiges Opfer des Krieges geworden. Alles fieng an zu flüchten und davon zu laufen. Des Enfans selber rieth nun dazu. Zum Glück hatten wir den Schweitzerboden nahe genug. Special Wagner, bei dem ich logirte, blieb, weil er den Tarreau im Quartier hatte. Ich wollte bei ihm bleiben, aber er trieb mich mit Gewalt fort. Zwei mal war ich schon mitten durch die wilden wüthenden Horden nach Riehen gewandert und zurückgekehrt. Das 3te mal blieb ich. Der Tag an dem man den Angriff erwartet hatte, war vergangen. Nun stand noch eine bange Nacht bevor. Der nächtliche Blick von Riehen ins Wiesenthal war fürchterlich, zu beiden Seiten waren die Anhöhen mit mehr den 200 Wachfeuern besezt. Das ganze Gebirg schien zu brennen, und das ganze Thal war in Rauch verhüllt, frey und groß und wachsam standen die Schweitzerischen Kontingente von Basel und Solothurn und Bern am Ausgang des Thals auf ihren Gränzen um ihr Vatterland, und was zu ihnen geflüchtet war gegen alle Anfechtungen von beiden Seiten im Fall der Noth zu schützen. Können Sie sichs vorstellen, wie uns zu Muthe war als wir am frühen Morgen die Nachricht bekamen, daß in der Nacht die Franzosen in aller Stille abzogen, und frühe um 5. Uhr die ersten Kayserlichen ohne Schuß und Schwertstreich in L. eingerückt seyen. Aber Geduld die Nachwehen kommen. Fürs erste liefen, als die Kommunicationen im Land herum wieder geöfnet waren, die traurigsten Nachrichten von allen Orten her ein. Die Rheinstraße herauf hatte die Moreauische Armee Hertingen, Tannenkirch, Mappach, Eimeldingen, Kirchen ausgeplündert. Auggen und Müllheim hatten von der Straße herauf bis in die Mitte beider Dörfer beträchtlich gelitten. Von Badenweiler weiß ich nichts. Im Wiesenthal wurde Schopfheim, Steinen, Brombach hart mitgenommen. Doch blieb Ihr Herr Schwieger Vatter verschont. Der Stadt Lörrach hat des Enfans Wort gehalten. Nur ein Haus ward geplündert, und ein leeres Gebäude, das bisher zur Caserne gedient hatte angezündet, aber bald und ohne Schaden wieder gelöscht. Noch nicht das Schlimmste! Denn die Kayserlichen, die wir als Freunde erwarteten, kamen nun als Feinde, - und scheinen nur auf eine andre Art, als die Franzosen das Land vollends ruiniren zu wollen. Anfänglich verübten die Gemeinen die nemlichen Gewaltthätigkeiten wie die Franzosen bald wurde zwar die Ordnung und Mannszucht wider hergestellt. Aber nun fangen die unerschwinglichsten Requisitionen aller Art an, die fast noch härter sind als die französischen und schwerer drüken, da das Land durch diese schon fast erschöpft ist. Die Dörfer Weil und Haltingen (im letztern ist das Hauptquartier des Fürsten von Fürstenberg) sind eine Kaserne; und der Weg zwischen beiden ein Lager. Das ganze Korps von 15—20,000 Mann das zur Blokade und Berennung der fr. Brückenschanze bestimmt ist ligt dort beisamen. Ueber diese Positionen noch ein Wort. Ich war von Weil aus noch wenige Tage vor dem Rückzug über Hüningen nach Basel gegangen und besah iene Anstalten. Eine Viertelstunde außer Weil liegt der Fridlinger Rein, der ganz Hüningen dominirt. Hier hatten die Franzosen ungeheure Verschanzungen angelegt, die sie aber zum Glück bei weitem nicht fertig brachten. Wider eine Viertelstunde vom Rein abwärts liegt die Brückenschanze von dieser führet eine Brücke auf die Schusterinsel; wollen Sie eine Idee von den Anlagen auf dieser Insel haben, so dürfen Sie nur einen Plan von Hüningen vor sich nehmen, wo die ehmaligen Werker auf dieser Insel hergestellt sind, indem sie wider ganz auf die alten Fundamente bauten. Von der Insel führt eine Schifbrücke über den Rhein nach der Festung die bekanntlich hart an dem Fluß ligt. Hätten sich die Fr. nun in der Fridlinger Schanze behaupten können, so hätten iene Gegenden noch ein Schauplatz der blutigsten und zerstörendsten Aktionen werden können. Aber ohne sich einen Augenblick aufzuhalten zogen sie durch, warfen sich in die Festung, und überließen den Fridlinger Posten ihren Feinden. Jezt werden die Anlagen dort mit der größten Thätigkeit so verändert, daß sie den K.[ayserlichen] zur Beschießung von Hüningen dienen können, und so bald sie vollendet sind wird dieses Schauspiel angehen. Früher werden auch die Franzosen das disseitige Ufer in der Brückenschanze und die Insel wohl nicht verlassen. Es gieng schon in einer kleinen Entfernung von Hüningen auf meiner Reise hinab die Versicherung, daß die Franz, sich ganz über den Rhein zurückgezogen hätten; aber das ist noch nicht wahr, den lösten war ich noch im Hauptquartier zu Haltingen, sah und hörte die Schuße [so!] die sie von der Insel aus auf die Arbeiten am Fridl. Rein thaten, reiste am Sonntag d. 30sten ab, und hörte die nemliche Canonade noch bis nach Schliengen hinab. Jede Nachricht also die sich von dem gänzlichen Rückzug früher datirt ist absolut falsch. Aber gewiß muß er bald folgen, da die Fr. bei Hüningen zu schwach sind um wider herüber zu brechen, und die Insel und Schanze und Brücke gegen das Feuer der Kayserlichen, so bald es angeht keinen Schutz haben. Auf der ganzen Reise hinab fuhr ich über die Kampfplätze bei Schliengen, Crotzingen, Emendingen, sah überall Greuel der Verwüstung, hörte überall Klagen und Jammer der Ausgeplünderten und Mishandelten, im ganzen Breisgau. Die Ortenau blieb von Gefechten und Franzosen verschont, hat iezt aber die ganze Kays. Hauptarmee, der Erzherzog macht die fürchterlichsten Anstalten zur Eroberung von Kehl. Die Franz. inkommodiren ihn nicht. Doch haben sie eben in der Nacht als wir durch die Gegend fuhren das Dorf Kehl in Brand gesteckt, um die Gegend freier zu machen. Bald werden wir von beiden Punkten, bei Hüningen und Kehl wichtige Nachrichten haben. Ihr H. Schwager hat die Reise mitgemacht, ist gesund und hat seine Eltern gesund verlassen. Nach Steinen zu kommen war mir unmöglich. Nachdem ich die ersten Paar Tage meines Aufenthalts in Lörrach versäumt hatte kamen bald die Franzosen unter Tarreau ins Thal kein Mensch, wagte es mit einem guten Rock, Hut oder Paar Schuhe dahin zu gehen, und sobald die Gegend wieder frei und sicher ward, hatte ich alle Eile, heim zu reisen, da ich bereits 14 Tage über meinen Termin weggewesen war. (...) Noch manches was ich Ihnen gerne schreiben möchte, sey auf das nächste Mal verspart. Seyen Sie mit Ihrer lieben theuren Gattinn tausendmal herzlich gegrüßt von Ihrem Freund Hebel CR. d. 6ten Nov. 1796.
|
|||
die Hölle: das Höllental. |
|||
|
|