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AN GUSTAVE FECHT UND KAROLINE GÜNTTERT

   

Michaelis [29. Sept.], früh 10 Uhr [1825]    

Dis ist mein 3ter Brief, theuerste Freundinnen, seit Ihrem lezten. Ich sage dieses aber nicht, als wenn ich so genaue Rechnung hielte, was wir insammt nie thaten, sondern aus Ruhmredigkeit, weil es so selten an mich kommt, ruhmredig zu seyn. Mögen Sie nur keine Abhaltung haben die Ihnen unangenehm ist.

Ich hatte seitdem auch ein Müsterlein von einer Krankheit. Ich hatte drei Tage lang das Fieber — es wird also das dreitägige gewesen seyn — mit Kopfweh und Betäubung. Aber mein dermaliger Vicedoktor Staabsmedikus Meier hat den rechten Fleck getroffen. In 5 Tagen war er nicht nur fertig mit mir — ich hätte ihm fast übel genommen, daß er sichs so commod mit mir machte —, sondern es haben auch fast alle meine andern Anfechtungen wenigstens bis iezt aufgehört. Ich habe keine Schmerzen mehr in den Gliedmaßen, keine Schweiße, keine Beengungen des Athems, keine Hypochondrie. Was ist der Mensch, daß ein Gütterlein voll Arznei mehr auf ihn wirken kann als alle vernünftigen Vorstellungen! Ich fürchte iezt fast nichts mehr, als den Fünfer hinter dem Sechser. Wiewohl der Fünfer gienge immer noch an, wenn nur der Sechser noch iünger wäre.

Ich glaube übrigens noch zur rechten Zeit zuvorgekommen zu seyn. Denn seit meiner Genesung herrscht hier ein bösartiges Nervenfieber, das viele dahin raft. Mein Freund K[irchenrat] Doll hat in 8 Tagen zwei Töchter verlohren. Gestern haben wir ihn selbst in seine Ruhe begleitet. Ich konnte hier keinen schmerzhafteren Verlust erleiden. Er war im Jahre 1792 noch mein Schüler, und ich habe ihn gleichsam selbst zu meinem Freund erzogen. Seit vielen Jahren hat er mich so an sich gewöhnt, daß ich ihn keinen Tag lang missen konnte. Übrigens ist die Furcht vor der Krankheit hier doch noch größer als die Gefahr. Man läutet nicht mehr bei den Leichen, was ich übrigens für gut halte, mehrere Familien sind schon weggezogen, Reisende sollen die Stadt umfahren. Merkwürdig ist es, daß noch kein Soldat, kein Jud und überhaupt fast noch keine gemeinen Leute ergriffen werden. Es scheint eine Herrenkrankheit zu seyn. Seit gestern haben wir kühles Wetter, von welchem die Ärzte das beste erwarten. Auswärts wird die Sache noch vergrößert. Glauben Sie das wenigste von dem was Sie vielleicht hören, und da die Ärzte rathen, viel Wein zu trinken, und zwar guten, so rechnen Sie auf mich.

Wie oft ich, besonders seit Dolls lezten Tagen an den Weiler Kirchhof denke, will ich Ihnen nicht sagen. Es ist kein Trost dabei, lange zu leben. Man wandelt zulezt gleichsam auf einem Gottesacker. Von meinem Kleeblatt ist nur noch Hitzig übrig.

Gott lasse Sie gesund und eines ruhigen Lebens froh seyn.

Ich bin mit herzlicher Liebe Ihr ergebenster Freund     Hbl.     

 

 

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Gütterlein: Fläschchen (von Guttere = Flasche).
Doll: Christof Heinrich Doll war am 26. September 1825
gestorben.

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