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AN GUSTAVE FECHT

   

[April 1824]    

Sie entschuldigen sich theuerste Freundinn, wegen der Weitläufigkeit Ihres lezten Briefes. Als einst der römische Philosoph Cicero gefragt wurde, welche Dialogen des Plato er am liebsten lese, antwortete er, „die längsten". Das Köstlichste in Ihrem Brief war mir iedoch die Nachricht von Ihrem bessern Befinden. Da ich gottlob ebenfalls nicht krank bin, so benutze ich als kluger Mann die Zeit, und brauche Arzneien für die Zukunft, nemlich für allerlei kleine Presten, die doch mit der Zeit schlimmer werden könnten. Wir sammeln wirklich artige Erfahrungen, mein Arzt und ich. Wir wissen bereits, daß die, und die, und die Arznei nichts hilft, damit wir die rechte gewiß nicht verfehlen, wenn es einmal ernst gilt. Ich bin iezt wieder glücklich, denn ich bin wieder arm, wiewohl ich nie reich war. Ich verliere an meinem Freund Meerwein 5200 fl. Es betragt mehr als die Hälfte von allem was ich mir bis in mein Alter durch Sparsamkeit und Büchleinschreiben erworben habe. Die Leute bewundern mich. Man glaubt auf einmal, ich müsse sehr reich seyn, weil man den Gleichmuth nicht begreifen kann, mit dem ich diesen Verlust ansehe. Es können an M[eerwein] 3—400.000 verloren gehen, der arme Mann dauert mich tief in die Seele hinein. Aber wie oft habe ich ihm seit 30 Jahren gepredigt! Ganz gewiß hatte er schon einmal über 1 Million reines Vermögen.

Den guten Gebhardischen Töchtern konnte nicht mehr zu Theil werden, als geschehen ist. Man meint, wir dürfen nur wollen. Wollte Gott! Aber man muß auch können. An Eberhards Söhnen haben Sie eine neue Erfahrung gemacht. E. meldete sich um die Pfarrei Bodersweiher. Das wäre ein schöner Platz für ihn gewesen und seine Spekulation auf das Oberland, wovor Ihnen immer bang war, hätte wenigstens auf mehrere Jahre ein Ende gehabt. Ich hoffte alles. Nun kommt aber der schlimme Zustand hinzu, daß diese Pfarrei mit einer Kriegsschuld von 665 fl. belastet ist, welche iezt bezahlt werden müssen. Da ist guter Rath theuer, und es werden wohl 2 Jahre vergehen, bis sie wieder kann besezt werden.

Wenn die Söhne studiren sollen, so wäre es schon gut, daß sie sobald als möglich in eine Schule kämen oder wenigstens nicht zu lange daheim blieben. Ein Vater unterrichtet seine Söhne nie gut. Denn erstlich hat er keinen Masstab, und zweitens bringt er sie nur in dem weit, was er selber gut versteht, und woran er Freude hat, und treibt anderes gar nicht oder mit geringem Erfolg, und der Sohn taugt alsdann in keine Classe mehr recht in einer Schule, wo von verschiedenen tüchtigen Lehrern alles mit gleichförmigem Ernst und Eifer getrieben wird. Man fordert heut zu Tag sehr viel von einem iungen Menschen, aufrichtig gesagt, fast zu viel. Unter 200 bis 300 fl. nach Umständen ist iedoch hier schwerlich einer in Kost, Logis und was dazu gehört, durchzubringen. Das ist auch viel. Aber Sie glauben nicht, wie theuer hier zu leben ist, wenn man ordentlich leben will.

Nun wird Ihr Garten, liebe Freundinnen, auch sein Frühlingsröcklein anziehen. Die schönsten Blumen darin weihen Sie gewiß einem lieben Andenken . . .

[Schluß fehlt.]

 

 

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Gebhardische Töchter: Töchter des am 19. März
 in bedrängten Verhältnissen gestorbenen
Rechnungsrates Karl Christian Gebhardt.
Eberhards Söhne: der 1813 geborene Karl Gustav
und der 1815 geborene Alfred Edmund Fecht.

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