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AN GUSTAVE FECHT

   

[30. Oktober 1823]   

Ich habe gut rechnen, theuerste Freundinn, aber nicht gut entschuldigen wie lange ich nicht an Sie geschrieben habe, nämlich von den schönen Sommertagen im B[ühler] Thal bis zu den Nebeln des Novembers, die sich aber nicht bewegen, wenn man schon lacht. Heute ist zwar erst der 30. Okt. Abends 7 Uhr. Ich sollte zwar nichts schreiben, so lange ich Ihnen einen Brief schuldig bin, aber es geht mir wie gedrängten Schuldnern, die am ersten zahlen, wo sie am meisten gepreßt werden, und liebe die nur desto mehr die Geduld mit mir haben. Mögen Sie, theuerste Freundinn, von Ihrer schlimmen Badkur, über die ich mich sehr betrübe, wieder genesen seyn. Gott gebe Ihnen beiden gute Gesundheit. Was kann ich mir zu meiner eigenen, die ich gegenwärtig genieße, erfreulicheres und lieberes wünschen?

Meine 14tägige Geschäftsreise in Mannheim und Heidelberg hat mir vortreflich zugeschlagen. Meine Hypochondrie, meine Schweiße, meine Beengungen, meine rheumatischen Zeitvertreibe haben fast aufgehört. Sonst hatte ich oft den ganzen Tag keinen Appetit. In Heidelberg mußte ich alle Morgen meinen Collegen, Geistl. Rat Schäfer, um 10 Uhr bitten, das Geschäft allein fortzusetzen, daß ich ein Stücklein kalten Braten und ein Schöplein Wein genießen könne, und noch iez höre ich lieber iz schlagen als n. Aber gleichwohl schreie ich nicht zu laut.

Frau Geh. Rath Reinhard hat eine schlimme Krankheit überstanden. Jüngst begegnete ich ihr. Ich begleite sie allemal, meines Gangs rück- oder vorwärts, bis an die Thüre, wo sie hineingeht. Sie spricht nur von der alten Zeit mit mir, von Ihnen und von unseren Verstorbenen. Sie ist besonders seit ihrer Krankheit eine alte, alte Frau geworden, nicht mehr wie im Wolfskrag, wo ich zwar nicht dabey war, aber im Käferholz in Tannenkirch, wo die Pfarrer Beckin eine Muskatnuß im Reis erbeutete. Sie sagt aber, ich sei auch nimmer so, wiewohl ich verstünde mich, noch immer iung zu seyn, wenn nur die Gliedmaßen [nicht ver] sagen wollten. Einverstanden. Ich bin noch immer lieber bey den iungen als bey uns alten, namentlich bei mir. Wenn nur das große Loos einmal käme, daß ich mir in Hausen ein Häuslein neben dem Jobbek Friderli bauen, und alle Wochen einmal mit meinen Schimmeln, die ich aber noch nicht habe, nach Weil fahren könnte. Im Winter wohnte ich in Basel, an dem San[te]hans, damit ich immer hinüber schauen könnte, und käme alle Tag wie der alte Knab im Schaf. Solche Exemplare sollten nicht ausgehen. Herbster hat mir nun selbst von seiner Schwester geschrieben, diese gute Trübsinnige dauert mich sehr.

E[berhard] hat sich um Mappach abermal umsonst gemeldet. Roman kommt dahin. Ich wünsche Ihnen einen guten heimlichen Winter. Spinnen Sie nicht zu viel! Der Mensch lebt nicht davon, daß er viel spinnt. Gott bewahre Sie, teure Seelen. Ewig Ihr Freund

Hbl.    

 

 

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Wolfskrag: vermutlich die südlich von Kandern
gelegene Wolfsschlucht.
Käferholz: Ein Käferholz in nächster Nähe Tannenkirchs
 gibt es nicht. Wahrscheinlich meint Hebel das
zwischen Schallbach und Wollbach gelegene „Käferhölzle",
das heute noch diesen Namen trägt.

Jobbek: Jakob. Hier handelt es sich wohl um Hebels
Vetter Johann Jakob Oertlin.
Santehans: im Basler Volksmund die St. Johanniskirche
in der damaligen St. Johannvorstadt,
der alte Knab im Schaf: Johann Rudolf Stickelberger.

 

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