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AN GUSTAVE FECHT UND KAROLINE GÜNTTERT

   

Ich weiß wohl, liebe Freundinnen, wie sehr ich mit meiner Correspondenz in der Schuld bei Ihnen bin, und erkenne die Billigkeit mit welcher Sie dieselbe beurtheilen. Aber ich spreche mich damit nicht los von den Vorwürfen, die ich mir selber mache. Sie sollten aber auch sehen, wie immer 6 Fäden an der Spule laufen, wie immer neues kommt, ehe das Alte fertig ist, wie viel Zeit man hier unnöthiger Weise verlieren muß, und wie beschwerlich mir das Schreiben wird, der ich oft den ganzen Tag schreiben, und leider sogar rechnen muß. Doch sind Sie mir ia nicht böse, und also nichts weiter davon!

Ich theile Ihren Genuß mit Ihnen, theuerste Freundinn, den Ihre idyllische Umgebung, die schöne Jahreszeit, die liebliche Hoffnung eines „Gott gebe" reichen Herbstsegens, das Getreib am Werktag und die süße Stille am Sonntagsmorgen Ihnen verschaft. Ia, ich kann es brauchen, daß Sie mich daran Theil nehmen lassen, denn hier ist es, zumal wo ich wohne, änderst. Da sieht man Palläste. die im Frühling gerade wieder so aussehn, wie im Winter, Carossen, Schildwachen, Visitenläufer, Canzleidiener. Den Sonntag kennt man nur am Läuten. Die Gegend um die Stadt wird zwar alle Jahre schöner. Aber ich mag nicht mehr hinaus. Ich weiß nicht ist es Trübsinn oder Beschäftigung des Geistes mit andern Gedanken, daß mir die Schönheit der Natur immer gleichgültiger wird. Ich freue mich derselben fast nur noch in der Erinnerung, wie froh sie mich einst machte. Doch es geht auch natürlich zu, wenn man alle Jahr wieder das nemliche sieht. Auch will ich nicht übertreiben. Ich habe schon im Jahr 1816 mit Grav Broussel, Meerwein und Amtmann Kinzinger ein Frühlingsfest gestiftet, welches wir seitdem alle Jahre feiern. Früh 7 Uhr wird nach Ettlingen gefahren. In Ettlingen im Thal unter freiem Himmel gefrühstückt, Schinken, Monatrettich, Butter und Käs. Den Wein muß Meerwein mitnehmen. Dann gehts nach einer Stunde zu Fuß tiefer ins Thal oder in die Berge. Da denk ich allemal — rathen Sie, an wen? Um 1 Uhr wird zu Mittag gegessen in E., um 5 Uhr auf einem schönen Umweg heimgefahren. Da muß G. Brouss. allemal 2 Lieder vorsingen:

1. Wir haben uns besonnen, haben Feierabend genommen u. s. f.,

2. Schwarzbraunes Äugelein, was führst du im Sinn u. s. f. Dies Jahr schien sogar Marggrav Leopold mitgehen zu wollen, aber es geschah nicht.

Ich mache mir ein Verdienst daraus, daß ich so undeutlich schreiben kann. — Ich denke, Sie haben länger an meinen Briefen zu lesen, wenn Sie gern lang dran lesen.
Ich denke oft und lebhaft an den guten Entschlafenen. Wir haben einen Candidaten examinirt, der in Basel sich aufhält. Ich war im Begrif ihn zu fragen, ob er auch bisweilen nach Weil ins Pfarrhaus komme. Ich kann mich lange in der angenehmen Täuschung erhalten, als ob die Todten noch leben, und es hilft dazu freilich die Abwesenheit, weil man die Veränderung nicht sieht.

Man muß, wenn man kann, die Vergangenheit nicht von der Gegenwart scheiden, wenigstens sie durch ruhige Erinnerung wieder zur Gegenwart machen. Jean Paul sagt schön und wahr, die Erinnerung sey der Nachsommer der menschlichen Freuden, man könnte auch sagen, sie sey der Spiegel in welchem die Vergangenheit wieder zur Gegenwart wird. Seneka — freilich ein Stoiker, sagt: „Ich betrübe mich nicht, wieso mir das Schicksal einen Freund genommen hat. Ich freue mich, daß ich ihn gehabt habe." Er setzt hinzu: „Nur die Freuden, die wir genossen haben, sind gewiß und unverlierbar unser. Was wir in der Gegenwart besitzen, und von der Zukunft erwarten, ist unsicher und hängt von fremder Gewalt ab."

Ich will nicht schließen. Aber ich muß.

Mit herzl. Liebe Ihr Freund    Hbl.    

D. 11. Juni [1823] Vorm. 9 Uhr.

 

 

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