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AN GUSTAVE FECHT UND KAROLINE GÜNTTERT

   

Theuerste Freundinnen!                                                 Den 23. J[anuar] 1823.

Nun werden Sie Ihren neuen H. Pfarrer haben. Fast hätte es noch einen langen Aufschub gegeben. Aber zum Glück ist er durch schnellen Aufbruch zuvorgekommen! Wie gefällt er? Wie gefällt er Ihnen? Ich finde keine Ähnlichkeit zwischen ihm und dem seligen Günttert, als daß er brav ist, und Blatternarben hat. Das thut aber die Liebe der braven Weiler zu ihrem vieliährigen treuen Seelsorger, daß sie etwas ähnliches suchen und finden, damit er ihnen nicht ganz verlohren sey, damit etwas von ihm, wie ein Andenken ihnen wiedergegeben scheine.

Sie haben mir durch Ihre Beschreibung Ihrer neuen Wohnung etwas so interessantes für mich gegeben, daß ich schon lange wollte ein gleiches thun. Aber ich habe von allem, was Sie noch kennen, nichts mehr, als die Commode, die mir der Schreiner Müller gemacht hat, und die Zuckerbüchse, welche wirklich in einem Fach meines Aktenschaftes auf einem baierischen Gesangbuch in meinem Arbeitszimmer steht, wo ich iezt auch sitze. Es ist ein Eckzimmer. Rechts ist das Schlafzimmer, ohne Ofen. Ich schlafe diesen Winter seit wenigstens 12 Jahren zum ersten mal wieder im Kalten. Darauf folgt das Eßzimmer. Auf der ändern Seite geht es in das Staatszimmer, und weiter in die Bibliothek. Im Staatsgemach stehen wenigstens für 55 Louisd'or Prunkmeubels, die ich nicht brauche, und ist erst nichts, ausgenommen das Stockührlein, wo ich an iemand denke, wenn ich es aufziehe. O, wie glücklich saß ich einst in Hertingen zwischen den Milchkänsterlein und den nassen Strümpfen und Handzwehlen am Ofenstänglein. Aber freilich 20 Jahre und 63 ist auch ein Unterschied. Möge mir Gott das Glück gewähren, nur noch ein Jahr in meinem Leben mein eigener Herr zu seyn, und zu leben, wo und wie ich will. Ich bin zu alt und zu arm, mich noch auf adeliche Füße zu stellen. Wiewohl, ich befinde mich ungemein angenehm in der Gesellschaft dieser fein gebildeten Menschenklasse. Hatte ich nicht immer den Adel gelobt? Der Tod des General Röder kann Sie nicht mehr überrascht haben als mich. Ich erfuhr Krankheit und Tod durch einen Boten. Es gehört nicht zu den angenehmen Zugaben, welche die Jahre bringen, daß man die Schicksale so vieler seiner Freunde überleben muß. Ich rechne dahin auch das Schicksal der guten Staatsräthin Reinhard, die sich an ihrem Sohn nemlich einen Bierbrauer erzogen hat. Er wohnt iezt in Grünwinkel und nennt sich selber so. Eine fortwährende Mißhelligkeit mit dem Minister zog ihm dieses zu.

Von wegen des Weines zu berichten, daß der Herr Grav mir denselben für den gleichen Preis überlassen. Wie sollte er mir nicht schmecken von solchen Reben und aus solchem Keller.

E[berhard] hat an mich geschrieben. Er sehnt sich auch nach einer bessern Stelle und gedenkt mit Unmuth des Mißverhältnisses mit seinen Schwestern. Er hat freilich Anspruch auf Beförderung. Wenn nur eine bessere Lage nicht wieder verschlimmernd auf ihn selber wirkt.

Ich muß eine Ahnung gehabt haben, daß ich diesen Brief noch zu rechter Zeit anfieng. Denn gestern hat mich die erste Kammer noch zu ihrem Sekretär erwählt. Gottlob, daß wir am Ende stehen. Leben Sie wohl, beste Freundinn.

Mit treuer Liebe Ihr Fr.   Hebel     

 

 

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Ihren neuen H. Pfarrer: Friedrich Johann Hoyer.
Milchkänsterlein: kleiner Milchschrank (von Känster).
Handzwehle: Handtuch.
einen Bierbrauer erzogen: Staatsrat Wilhelm Reinhard
war 1822 der Direktion der auswärtigen Angelegenheiten
enthoben worden, kehrte jedoch 1827 in den
Staatsdienst zurück.
der Herr Grav: wohl der Graf Broussel.

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