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AN GUSTAVE FECHT

   

Liebe Freundinn!                                                              10. Mai [1812] früh 8

Ihr leztes Brieflein hat mir viel Trost gebracht. Sey Ihnen und dem lieben Gott bestens dafür gedankt. Es war mir sehr bange darauf. Ich wagte es nicht zu öffnen, biß ich ihm außen anzusehen glaubte, daß nichts Schlimmes darinn stehe, weil es so ordentlich zusammengelegt und überschrieben war. Gott gebe, daß es sich unterdessen noch recht sehr gebessert habe, und alle die Besorgnisse verschwunden seyen. Sagen Sie Ihrer guten Schwester, daß ich den herzlichsten Antheil nehme und mit Ihnen nichts mehr als ihre baldige völlige Genesung wünsche.

Was Sie mir über Ihre Gefühle schreiben, begreife und kenne ich wohl. Es ist schwer und schmerzhaft, sich an den Verlust einer Person zu gewöhnen, die man so sehr liebte, an die man so sehr gewöhnt war. Man lebt noch in einer Art von Täuschung mit ihr fort, und iede neue Erinnerung, daß sie nicht mehr da sey, ist ein neuer Schmerz über den Verlust. Der erste schneidende Schmerz der Trennung ist fast leichter zu ertragen, als das Vermissen und die zehrende Sehnsucht, die nachfolgt, bis man sich daran gewöhnt hat. Aber es gibt nur ein Mittel dieses Schmerzes überhoben zu seyn, wenn uns Gott die Eltern so lange leben läßt, bis sie uns durch Alter, Wunderlichkeit und Zerfall der körperlichen und Geisteskräfte selber lästig werden und ihr Verlust uns gleichgültig, ia tröstlich wird. Aber diesen Trost hätte ich Ihnen nie wünschen mögen. Es ist besser, man trenne sich mit Schmerz, als mit Gleichgültigkeit von denen, denen man so viel schuldig ist, besser, dem Andenken der Heimgegangenen Liebe und Dank mit Schmerz zu opfern, als gar nicht. Ich wünsche nicht, daß meine Mutter so lange gelebt hätte, biß ich ihr den Tod hätte wünschen müssen. Anfänglich war sie mir noch so lieb, daß es leicht gewesen wäre, mich katholisch zu machen, nur damit ich noch für sie hätte beten, oder gar sie anbeten können. Nachher vergaß ich sie während der leichtsinnigen und flüchtigen Jugend auf viele Jahre. Nachher kam sie wieder zu mir, und brachte mir für lange Zeit viel Schmerz und Freude mit. Es ist gerade heute der Tag, wo ich lebhafter Jährlich ihr Andenken begehe, denn ich thue es nicht mehr an ihrem Todestag sondern an meinem Geburtstag. Denn die Sehnsucht ist von mir gewichen und nur die Liebe übrig geblieben, weil ich mir über iene keine Rechenschaft mehr zu geben wüßte, da sie iezt 86 Jahr alt wäre. Bey Ihnen werden diese angenehmen und lieben Gefühle der Erinnerung ohne Schmerz viel früher kommen, weil Sie die Ihrige viel später verlohren haben.

Ich bin nun nur besorgt wegen der Folgen, die beide Krankheiten und die Leiden Ihres Gemüthes für Ihre Gesundheit haben könnten. Mäßigen Sie sich ia, so gut Sie können, auch in den Geschäften. Ich weiß daß Sie mehr thun, als die Ihrigen von Ihnen verlangen und Ihnen zumuthen. Man kann auch mit Vorsicht und Eintheilung viel thun, was den Zweck erreicht und weniger schadet, als wenn man sich zuviel auf einmal zumuthet und in der Anstrengung sich vergißt. Ich dachte darauf, Sie während der Pfingstferien auf ein paar Tage zu besuchen. Aber es ist nicht zu machen, zumal da uns ohnehin 2 Lehrer fehlen und der Weg ist gar zu weit. Meine herzlichen Grüße den lieben Ihrigen.

                                                                                        Ewig Ihr Fr.       H.   

 

 

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