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AN GUSTAVE FECHT

   

Verehrteste Freundinn!                                        [Ende Juni — Anfang Juli 1797]

Wo soll ichs anfangen und wie soll ichs enden? Es ist mir bange, wenn Sie wegen der langen Schuld, die ich auf mir habe, Entschuldigung erwarten, und noch viel schlimmer wärs, wenn meine Bangheit unnöthig wäre, wenn's gar keiner Entschuldigung bedürfte. Könnt ichs nur übers Herze bringen, gegen besser Gewissen zu lügen, aber ich kann nicht, und die Warheit, so treu ich ihr bin, und so treu sie seyn soll, wie man sagt, die Warheit läßt mich dismal offenbar im Stich. Von Geschäften könnt ich wohl etwas vorbringen, aber es ist schon eine gar alte Leyer. Krank bin ich weiter auch nicht gewesen, Gott sey Lob und Dank. Heiterkeit und froher Sinn, der fehlt freilich, den drükt das Joch das auf mir ligt gewaltig nieder, den äzt mir mancher stille Verdruß allmählig aus der Seele; aber wer ist schuld daran, wenn ich ihn nicht in der Unterhaltung mit guten, freundschaftlichen Menschen wieder zu wecken und anzufachen suche? Weiter könnt ich noch — aber ich bitte Sie, absolviren Sie mich, sonst muß ich doch noch lügen; sagen Sie mir, Sie merken wohl, daß ich wenig stichhaltiges vorbringen könne, und dismal wollen Sie mirs verzeihen. — So was laß ich mir nicht zweymal sagen und wenn Sies auch nicht einmal gesagt haben, so bild' ich mir doch ein, Sie habens gesagt, und ich kann Sie versichern, daß es mir iezt wieder recht wohl ist. Unser meistes Wohl beruht auf der Einbildung, und unser meistes Übel auch — aber doch ist die Einbildung immer viel werth und mehr, als das Besserwissen. Iezt hätt ichs auf dem rechten Trumm, eins zu moralisiren. Aber darauf wars nicht angelegt; und ich muß mir Platz behalten, um Ihnen noch eins über das Wetter vorzuzanken. Ist das nicht ein heiloses Wetter? Sollen wir das für einen Sommer gelten lassen? Ach, ich sehe im Geist, wie Ihre schönen Pflanzungen im Garten verkümmern, und wie die Nägelein bis an den Hals im Wasser stehn, und wie die Immlein darben, und wie der Herr Pfarrer unter der weißen gesteppten Kappe krazt, wenn er an die Reben denkt. Auch seh' ich Sie, wie Sie mausnaß von dem Ball heimkommen und mit einem Stiel — mit einem Stiel — ach, du Herr wie so lange! Sie sind zwar heimgefahren, das weiß ich wohl. Aber man wird doch naß, wenns so entsetzlich patscht, und den Stiel bekommt man vom Aus- und Einsteigen. Sehen Sie, das alles kommt von dem abscheulichen Sommer her, und wenn, er Ihnen auch noch vollends das Zahnwehe wieder gebracht hätte, das wolle Gott verhüten! Gelten Sie, er hats Ihnen nicht gebracht, und wenn's das ist, so soll er noch Gnade haben, und die Erlaubniß, noch 4 Wochen fortzuregnen. Wir wollen sehen, wo wir wieder auf ein Jahr Brot und Wein finden. Helf Gott den armen Leuten!

Ich möchte Sie gerne gesehen haben, wie Sie als flinke, freundliche Wirthin den lieben Vertheidigern des Vaterlandes den Wein heraufgetragen haben. Daß aber die geistlichen Herrn, welche Wirthschaft trieben, beim Consistorium in Untersuchung sind, und daß Sie, weil Sie als eine geistliche Tochter behülflich waren, auch ins Spiel kommen, werden Sie wissen. Der Sekretarius Wilhelm hat mirs gesagt.

Nächstens soll der Frieden publicirt werden, 's wird ein sauberes Früchtlein seyn, aber was bekümmerts uns gemeine Leut' ? Um unsern Kopf gehts nicht. — Wenn nur das Papir länger wäre, oder wars Ihnen schon zu lang? Kaum reicht es noch, um Sie meiner steten Hochachtung zu versichern und Ihnen zu sagen, daß ich sey

Ihr aufr. Fr. u. geh. Dr.     Hebel    

 

 

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Trumm: Stück, Endstück.
Stiel: der durch den Regen naßgewordene
untere Saum des Rockes.
Wilhelm: Die „Untersuchung" ist ein Scherz Hebels.
Friede: Friede von Campo Formio vom 17. Oktober 1797.

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