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AN GUSTAVE FECHT

   

Theuerste Jungfer Gustave!                                                [25. Dezember 1795]

Glück zum neuen Jahr! Abermal abgewonnen! Sie können sich, wenn Sie wollen, aus. dem Brief den ich an Ihre Frau Mama geschrieben habe, überzeugen, daß ich auf einem Stuhl in der oberen Stube sitze neben dem Fenster das gegen den Blasier Meierei Hof schaut. O ich sehe Sie leibhaftig; Sie stehn an der Commode vor der Uhr und knistern etwas in einer pappendeckelnen Schachtel herum; suchen Sie ein Band auf morgen? Oder legen Sie den heutigen Weihnachtsstaat wieder in Ordnung? Nicht wahr, Sie haben heute communicirt? Sie sehen so feierlich und so heilig aus, als wenn Sie einen Engel gesehen und mit ihm von der Auferstehung der Toten, vom iüngsten Gericht und vom ewigen Leben geredet hätten. Was hat er Ihnen denn schönes erzählt und entdeckt, was wir ändern nicht wissen. Ist es wahr, daß die erste Station von der Erde zum Himmel auf dem Belchen ist und die zweite im Mond und die dritte auf dem Morgenstern und daß dort alle 8 Tage ein Komet als Postwagen ankommt und die angelangten Fremdlinge von aller Welt Ende ins himmlische Jerusalem zur ewigen Heimath fährt? Dort soll gar kein Wölklein mehr am lasurenen Himmel bestehen können und soll keine Nacht da sein und keine Leuchte und doch auch kein Licht der Sonne, denn Gott der Herr soll sie erleuchten und regiren von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hats Ihnen der Engel auch so gesagt? oder wie? Und hat er Ihnen nichts vom D. Brodhag erzählt?

a) 

b)  
 

Husch bin ich über den Birnbaum weg auf der flinksten Drude Ofengabel über Sumpf und Moor, über Querfeld und Kreuzweg und sitze wieder an meinem einsamen Schreibpult. Doch ist mirs heimlich und so wohl, als ob ich auch dabei gewesen wäre, wie Sie mit dem Engel geredet haben. Morgen gehts zu einem andern Flug und dies Brieflein muß mit — aber nicht auf der Ofengabel, sondern in der Chaise des Hrn. G. R. Brauers nach Baden zu einer Schulcommission. Doch hab ich lediglich nichts bei der Commission zu thun, sondern ich benuze nur die gütige Einladung des Hrn. Geh. Raths, Gesellschaft zu leisten und eine Veränderung zu machen und freue mich, daß ich dem Oberlande und der ersten Station zum Himmel wieder 8 Stunden näher sein werde.

Sie haben mir noch nicht geschrieben, resp. gemeldet, ob Sie auch einmal in Neuenbürg gewesen sind oder ob mich meine Ahndung betrogen hat. Vergessen Sies doch nicht gelegentlich und spinnen Sie fleißig! Es gibt frühe Ostern.

Die schönsten duftigsten Veilchen sollen Sie ausgehends Merzen für Ihren stillen häuslichen Fleiß belohnen. Tausend Glück und Segen. Ich bin

Ihr gehorsamster Dr.     Hebel    

 

[Von W. Zentner liegen 2 Widergaben vor: a) aus dem 2-bändigen Werk von 1957 mit dem Davidstern (Hexalpha) und b) aus dem 1-bändigen Werk von 1976 mit dem Pentagramm (Drudenfuß).
Welche von beiden korrekt ist, kann ich, da die Originale nicht zugänglich sind, nicht entscheiden]

 

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Blasier Meierei Hof: der in unmittelbarer Nähe des
Weiler Pfarrhauses gelegene Bläserhof,
Sitz des St. Blasier Stiftsmeiers.
Brodhag: In Hebels Frage liegt etwas Ironie,
da der am 24. April gestorbene Amtsphysikus
Carl Friedrich Brodhag nicht gerade als frommer Christ galt.

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