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AN GUSTAVE FECHT |
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Theuerste Freundinn! [26. Oktober 1794] Den Augenblick will mir die Frage einfallen, ob es auch recht sey, am Dankfest frühe vor der Kirche schon Briefe zu schreiben. Ich glaube wohl! Die Frage hat mir gar nicht ein sollen fallen. Man redet ia auch mit den Leuten vor der Kirche und ich habe wohl an sehr hohen Festtagen die Ehre gehabt, mit Ihnen in dem Fall zu seyn. Was ist denn Schreiben mehr als Reden? Es ist nicht einmal so viel. Also lieber Gott, während daß viele tausende aus allen Tönen und nach allen Weisen Dich loben, schleiche ich piano beiseits und gehe nach Weil, wo Du auch daheim bist, so gut wie in Carlsruhe; ehe denn Carlsruh war, ist Weil; und zu Leuten, die Du auch kennst, und Du darfst alles hören, was ich sage. Aber sonderbar, liebste Jungfer Gustave, ich will an Sie schreiben und schreib an den lieben Herr Gott, der doch meinen Brief schon auswendig kann, eh ich ihn schreibe,, und dem ich nicht zu sagen brauche, wo Rheinfels liegt. Haben Sie tausend schönen Dank für Ihren Brief. Sie verstehn die Kunst einem das angenehmste noch angenehmer zu machen. Lang warten lassen, macht guten Appetit. Wenn Sie mich nur in Ihrer Parenthesis — Herr Pfarrer, was heißt das? — nicht so räthselhaft gelobt hätten! Gut und nachsichtig, dafür laß ich mich gerne halten. Aber die fatalen Streiche drunter und die fatale Connexion. Ists Zucker oder Salz? Ihr Zucker ist süß, das weiß ich noch von den Papirtäfelein her auf des Schlosser Sehls Bänklein. Aber wer süßen Zucker hat, hat auch scharfes Salz. Scharfe Sachen lieb ich nicht, und womit hab ich eine Beitze verdient. Aber wie Sie so unvorsichtig haben hineintappen können! Erinnern Sie sich denn nicht, daß ich mit einer Reisebeschreibung gedroht habe, wer mir zuerst schreibe? Weil Sies sind, so will ichs gnädig machen, der Herr Günttert hätte iedes Dorf hören müsen, wo wir durchgekommen sind. Wir, denn der Prof. Sander, seine Köchin und ein Sohn des Amtmann Sanders und ein Student waren bis nach Sprendlingen beysammen. Sprendlingen ligt zwischen inne zwischen Creuznach, Bingen und Mainz. Von da geschah der erste Ausflug nach Bingen, Bacharach, Oberwesel aber notabene auf dem Rhein, nach St. Goar und Rheinfels. St. Goar, eine hübsche hessische Stadt, ligt zwischen dem Rhein und einem Berg. Denn Berge lauffen hier zu beiden Seiten am Rhein herab, der deswegen auch sehr schmal ist. Auf einer respektablen Höhe gerade unterhalb Goar ligt das Schloß Rheinfels und hinten dran, landeinwärts die Vestung. Alles hängt zusammen, Vestung, Schloß und Stadt. Gegenüber, das heißt auf unserer Rheinseite sind noch 2 Schlösser, die Katze und die Maus, und zwischen beiden auf der obersten Höhe der disseitigen Berge waren damals 3 Batterien 24 (Pfünd)er, aus welchen man allen die Vestung sekundiren konnte. Man sagt der Commandant habe sie auf die Aussage eines einzigen Deserteurs hin verlassen, welcher meldete, daß 30.000 Franzosen im Anmarsch seyen zu stürmen. Die Vestung soll einen ganzen Tag leer gestanden seyn, eh die Franzosen wüsten, daß sie verlassen sey. Hier war ich 4 Stunden von Simmern, aber ich gieng nicht hin. Auf dem Rückweg, den wir zu Fuß neben den Weinbergen machten, wurden wir zweymal vom Bammert gepfändet. Das gehört auch zu den Merkwürdigkeiten. Gegen Bingen über gieng's einen hohen hohen Berg hinauf nach einem englischen Garten, der nicht so interessant ist, wie der Arlesheimer, aber eine vortrefliche Aussicht über das Rheingau hatte. Hätte die Gegend mehr Abwechslung, so könnte die Aussicht so schön als die Tüllinger seyn. Segne Gott mein Tüllingen — und Weil unten dran zwiefach und zehnfach. Bingen ligt wie Basel nur näher und kleiner, die Nahe ist die Wiese, der Rhein ist der Rhein, da und dort unten am Berg ligt Rüdesheim wie Weil und Tüllingen. Heysa hop die Reben hinab, wo wir uns noch einmal ungepfändet für den doppelten Einig des vorigen Tags schadlos hielten. Die zweyte Nebenreise macht ich allein über den Hundsrük. In Obermoschel kroch ich in die Quecksilberbergwerke. Die sind sehr interessant. Aber es geht tief tief hinein, man sieht in 3/4 Stunden den Tag nimmer, wenn man nur hinein, und wieder hinaus geht, und nirgends stehn bleibt. Aber im Städtchen selbst begegnete mir etwas artiges, wo ich ein Glas Bier trank. Es war mir, als ob ich in des Ginzen Heimath sein müßte, fragte also die Wirthin, ob wohl nicht ein Casimir Ginz hier zu Hause sey. J, sagte die Wirthin, das ist seine Mutter, dort am Ofen, un eich seyn des Casimirs Gschwey. Nun wurde der Philipp Ginz vom Brennkessel geholt, den kannte ich, sobald ich ihn sah, denn er war einmal in Lörrach. Das gab ein Verwunderns und ein Fragens. Ich sagte natürlich den guten Leuten nicht, daß ich schon drei Jahre von Lörrach weg sey, versicherte die alte Mutter, daß sich ihr Sohn wohl befinde, empfieng viele Grüße, die auch schon ausgerichtet sind, freie Zeche und ein Glas frisches Brombeerwasser vom Kessel weg, glaub ich, auf den Weg. Herrstein gieng ich nicht vorbey. Der Amtmann hatte das Haus voll Preußen, doch war ich 2 Tage bey ihm. Da ward eins geplaudert von den alten Zeiten, vom Krenzlin, von der Fabrike, vom alten Hartmann, vom dicken Peterson, von der blinden Kuh, vom Michel mit einem Strich, vom 74ger, vom Soger, vom 82ger, vom 84ger, vom 88ger, vom hundertsten ins tausendste. Am Montag verließ ich ihn, am Donnerstag waren mit Sack und Pack die Franzosen da. Sicher gemacht durch die Preußen bis auf den letzten Augenblick, brachte er nichts als seine Person in Sicherheit. Seine Frau und Kind, die nach Meisenheim zu ihrem Vater wollte, weil sie aus Mangel an Fuhrwerk ihn nicht begleiten konnte, ward in Fischbach, eine Stunde von Herrstein, von den Franzosen erreicht und seitdem weiß er keine Sylbe von ihr, ob und wo und wie sie lebt. Am Donnerstag als die Franzosen auf den Hundsrük einbrachen, brachen wir auch von Sprendlingen auf, erst nach Mainz, wo wir die Ruinen der ersten, und die Anstalten zur zweyten Belagerung sahen. Merken Sie bald, daß lang geborgt, nicht geschenkt ist? Wenn dies Blatt aus ist, kommt noch eins. Ich hätte schon lang aufhören können; die Geschichte vom Ginz hätten Sie nicht zu wissen verlangt. Also wo sind wir? In Mainz. Von Mainz nach Worms, 4 Stund von Mannheim. Da waren wir durch die Franzosen abgeschnitten, die den Tag zuvor Frankenthal wider besezt hatten; wir musten also etwas zurück, um über den Rhein und auf sicherm, aber bodenlosem Wege mit 5 Stunden Zubuße nach Mannheim zu kommen. In Mannheim war Comödie. Was kann man bessers thun, wenn der Feind vor den Thoren kanonirt, als Singen und Musizieren und der Zukunft Bitterkeit vertreiben? In der Comödie hab ich Gott zum erstenmal für meine 35 Jahre gedankt. Fünfzehn weniger, so hätte ich mich in ein schmuckes Demoisellchen verliebt und vielleicht — erschossen. Von Mannheim sind's 13 Stund nach Carlsruhe. Gottlob, werden Sie denken, daß er einmal daheim ist. Versichre Sie, ich habs noch gnädig gemacht, viel ausgelassen und keine Sylbe gelogen. (...) Daß unser Marggraf und Landgraf von Hessen noch eine Lanze besonders mit den Franzosen brechen will, werden sie wissen. Was der gute alte Papa noch für Sachen hinter den Ohren hat. Ich freue mich herzlich seines bidern teutschen Muthes. Wenns nur gut geht und die eingeladenen Gevatterleute alle kommen. Das Kindlein ist noch schwach, zu frühe ists nicht worden. Frieden war besser als die blutige Taufe. Aber es wird nicht Friden, glaub ich, wenigstens nicht Ruhe, sag ich gewiß. Nur noch einen Augenblick Gedult! Ihre Krankheit hat mir herzlich leid getan. Sehen Sie, auch das darf der liebe Herr Gott hören. Am heiligen Sonntag sag ichs, denn es ist wahr. Hüten Sie sich vor nassen Füßen, und trinken Sie nicht auf das Obst Wasser oder Wein, Äpfel oder Birnen ist einerley. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau Mama, ich wünsche sehr, daß auch sie von ihren bösen Augen wieder befreyt seyn und einen gesunden heitern Winter dafür zu genießen haben möge. Einen freundlichen Gruß aus der innersten Herzensbüchse an die gute Frau Günttertin. Gestern hätt sie sollen bey mir seyn, auf neuen Wein und Kastanien, Malaga und Biskuit. Es brütet auch wieder ein Brieflein für sie. Endlich auch einen Gruß und sonst ein freundlich Wörtchen neben drein an meinen lieben Tobeis. Das Consistorium wird ihm nächstens eine schöne Passionshistorie und allerlei hübsche Texte drucken lassen. Haltet sich der Wilhelm gut? letzt betten Sie ordentlich ein Vatterunser! es läutet — — — und machen Sie nicht, daß Sie neben den Neuiahrswunsch kommen. Ich will doch Einsehn haben und schließen. Sehn Sie! Das haben Sie mit dem Vatterunser erbettet: „Erlöse uns von dem Übel". Sagen Sie auch gleich nach dem Übel Amen? wie der Herr Obr. Lieutenant? Commoder ist's — besonders wenns kurz läutet — und das Kraut anbrennen will. Punktum. Leben Sie wohl, theuerste Freundinn, ich bin ohne Aufhören Ihr aufrichtigster Fr. und gehors. Dr. Peter H.
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Schlosser Sehls Bänklein:
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