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AN SEBASTIAN ENGLER

   

Hier sitze ich wieder, mein lieber Angeliko, die Abseite des Gymnasii und die Dolder seiner Gartenbäume im Auge, lieblich umduftet vom Athem der Welschkornstöcke im Garten, zwischen mir und ihm, und trinke Wasser.

Nicht weil ich bey Ihnen und Consorten meine Zunge für den Unterländer, für den Bacchus des Thurnbergs und der Grötzinger Steinbruchhalden verwöhnt worden ist, was sie übrigens wirklich geworden ist, auch nicht aus diätetischer Absicht, um durch Vermehrung des Wasserstoffs und Verminderung des Weinstoffs das lange gefährdete Gleichgewicht an der Linie zwischen Wirbel und Ferse, woran mir so viel, als an dem Gleichgewichte von ganz Europa gelegen ist, wieder herzustellen, ob wir gleich beide, das heißt nicht Sie und ich, sondern Europa und ich, hohe Zeit hatten, aus unsern Schwingungen und Schwankungen in den Zustand der Ruhe zurückzukehren, und nun, so Gott will, zurückgekehrt sind, ich durch meine Ankunft in Carlsruhe am 18. Oktober Nachmittags um I Uhr, und Europa durch den englischen Frieden, in welchem der Erbfeind von Modena, oder eigentlich der Erzherz[og] Ferdinand die Niederlande, das Breisgau aber der Marggr[af] von Baden mit der Bedingung erhält, daß die Oberbadische Regierung nach Neuburg verlegt, der Schopfheimer Hurlibaus aber zur Vermeidung aller künftigen Kriege vernagelt und in den Ruhestand versezt werde — also, wie gesagt, weder aus Verwöhnung noch aus diätetischen Absichten schwebt meine Lippe, die kürzlich noch von Nektar triefte, nun an der Urne der Najade, sondern rein aus Bußandacht, denn als ich von der Höhe des Schliengener Berges herab aus der dichten Wolke, die auf ihm lag, und leider abermals an Auggen vorbey, dem Unterland entgegen wallte, fiel es mir schwer aufs Herz, daß troz der Tendenz unseres Geistes nach Oben hinauf unser aller irdischer Gang und Wandel ein Gang in's Unterland ist, und daß wir alle nur dort enden und zusammen kommen. Da fielen mir alle meine Sünden, es fiel mir das Blutgeld ein, das ich in Weil wenige Tage vorher erzwickt hatte und noch im Sacke trug. Da brachte ich's dem Fideli in Schliengen, oder vielmehr seiner Wittwe, denn wie ich hörte, ist er auch schon im Unterland, weihete mich zur Läuterung den Flammen eines halben Schoppens Kirschenwasser und war eben im Begrif, mir von dem Hausknecht die Stiefel ausziehen zu lassen und für den letzten Zwickgroschen, den ich noch hatte, ein Paternoster zu kaufen, um als ein Büßender barfuß und betend nach Carlsruhe zu gehen und in meiner Reise mir den letzten Gang ins Unterland zu symbolisiren, als K[irchen]R[ath] Sander um den Berg herum mit einer Chaise von Rheinweiler kam und mich einpackte. Indessen habe ich mein Memento mori, zu deutsch: Gedenke des Maulbeerbaumes, item: Gedenke des Morus, über den du nun bald wieder Dogmatik lesen sollst, nicht aufgegeben, sondern bin, wie weiter hinab die Freunde seltener und der Wein schlechter wurde, den Freuden dieser Welt immer mehr abgestorben und bin iezt, ganz rein und geläutert von allen Zwickgroschen, von allen Weinhefen, von allem Oberirdischen, im Unterland, von wo ich, wie aus dem Grab, Ihnen für alle dem selig Verschiedenen erwiesene Liebe und Freundschaft danke, anhoffend eine baldige fröliche Auferstehung.

Ich bitte Sie recht schön, mich gelegenheitl[ich] in Auggen zu entschuldigen. Es war so sehr und lange mein Wunsch und Vorsatz, dem Herrn Spezial meinen Besuch zu machen. Aber Hügelheim war für den Mittag bestimmt. Sander eilte, und wollte noch in Thiengen übernachten, und als wir an Auggen vorbei fuhren, war man in d[er] Kirche, oder im Begrif darein zu gehen.

Ich empfehle mich Ihrer lieben Gattinn und danke nochmals für die gute süße Traubentorte. Gern möchte ich noch ein Langes und ein Breites mit Ihnen fabeln, aber: Memento mori! Ich bin mit gutem deutschen Sinn

Ihr redlicher Freund      Hebel             

Carlsruhe, d. 24. Okt. 1801

 

 

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