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28. Ruth.

 Zu der Zeit, da die Richter regierten, war eine Teurung im Lande. Damals zog aus Bethlehem im Lande Juda ein Mann mit seinem Weibe Naemi und mit seinen zwei Söhnen hinweg in der Moabiter Land. Der Mann starb. Da war Naemi noch allein mit ihren Söhnen. Diese heirateten zwei moabitische Töchter, Arpa und Ruth. Die Söhne starben auch. Da war Naemi noch allein mit ihren Schwiegertöchtern. Nach zehn Jahren, als sie erfuhr, daß die Teurung in dem Lande Israel wieder aufgehört habe, kehrte sie um in ihre Heimat, und ihre Schwiegertöchter begleiteten sie.

Unterwegs, als sie bedachte, wie arm sie jetzt wieder heimkomme, und wie wenig sie imstande sein werde, für ihre Schwiegertöchter zu sorgen, sagte sie zu ihnen: »Kehret um, meine Töchter, eine jede in ihrer Mutter Haus! Gott tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. Ich kann euch nicht mit mir nehmen; denn mich jammert euer sehr.« Die Schwiegertöchter weinten, und Arpa ließ sich endlich bewegen und kehrte wieder zurück. Naemi sprach zu Ruth: »Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott!« Ruth antwortete: »Rede mir nicht ein, daß ich dich verlassen sollte. Wo du hingehest, da will ich auch hingehen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch. Der Tod muß mich von dir scheiden.« Also sprach und tat Ruth. O Gott, wirst du solche Kindesliebe nicht vergelten; willst du dieses arme Herz
nicht trösten!

Als Naemi wieder in Bethlehem angekommen war, ward es bald im ganzen Städtlein ruchbar. Alle Leute kamen zusammen und wunderten sich: »Ist das Naemi«?« - Sie sprach, die kummervolle Frau: «Nennt mich nicht mehr Naemi, denn ich bin eine andre geworden. Reich zog ich aus, aber arm hat mich Gott wieder heimgebracht.« Als Naemi sich in Bethlehem wieder gesetzt hatte, - es war ebenfalls in der Gerstenernte - ging Ruth auf das Feld, daß sie Ähren auslese. So groß war ihre Armut.

Sie wußte nicht, auf wessen Acker sie ging - was weiß eine fremde Frau! Aber Gott führte sie zu den Schnittern eines reichen Mannes mit Namen Boas, der ein Verwandter war ihres verstorbenen Mannes. Voas kam auf das Feld und grüßte seine Schnitter: »Der Herr sei mit euch!« Die Schnitter dankten ihm: »Der Herr segne dich!« Es ist ein gutes Zeichen, daß ein reicher Hausvater sein Gesinde grüßt, wenn er auf das Feld kommt. »Was ist das für eine Weibsperson?« fragte er den Aufseher über das Gesinde. Der Aufseher sprach: »Es ist die Moabitin, die mit Naemi gekommen ist.« Boas redete mit der Ruth und gab ihr freundliche Worte, daß sie ja auf keinen fremden Acker gehen, sondern bei seinen Mägden bleiben solle, und so sie dürstete, oder wenn es Essenszeit wäre, sollte sie mit seinen Leuten trinken und essen. »Ich weiß alles,« sagte er, »was du getan hast an deiner Schwiegermutter nach deines Mannes Tode, und daß du sie nicht verlassen hast. Der Gott Israels vergelte dir deine Tat, zu dem du gekommen bist, daß du unter seinen Flügeln Zuversicht hättest.« Auch befahl er seinen Leuten, sie sollten freundlich gegen die Moabitin sein und ihr viel Ähren hinter den Garben liegen lassen. O, wenn doch alle glücklichen Leute wüßten und bedächten, was ein freundliches Wort und eine seine Behandlung einem armen, wunden Herzen für eine Wohltat und ein Balsam ist.

Ruth brachte ihrer Schwiegermutter eine große Menge Ähren nach Hause und erzählte ihr alles, und als die Mutter hörte, der Mann heiße Boas, sprach sie: »Er ist unser Verwandter. Gott segne ihn für seine Barmherzigkeit an den Lebendigen und an den Toten!« Was will noch aus der Sache werden? Als Boas die rechtschaffene Ausführung der Moabitin mit eigenen Augen gesehen hatte, gewann er eine Liebe zu ihr, so arm sie war. Denn nicht das Geld, sondern die Tugend ist Reichtum. Auch erkannte sein biederes Gemüt eine Pflicht dazu. Denn ein solches Gesetz galt damals noch in Israel. Wenn ein verheirateter Mann ohne Kinder gestorben war, so war sein nächster Verwandter schuldig, seine Witwe zu heiraten, und sie durfte ihn darum ansprechen ohne Anstand.

Also heiratete der reiche gottesfürchtige Boas die arme Rath, wiewohl er war unter den Verwandten nicht der allernächste, und sie ward durch ihn zu einer glücklichen Frau. So hat Gott ihre Kindestreue vergolten und ihr armes Herz getröstet. Wie ist die Verheißung so wahr geworden: »Du sollst deine Eltern ehren, so wird es dir wohl gehen.« Gott segnete diese fromme Ehe mit einem Sohne, den nannten sie Obed. Alle Einwohner in Bethlehem hatten eine Freude daran und wünschten der Naemi Glück, daß ihr Gott einen Nachkommen gegeben habe. »Der wird dich erquicken«, sagten sie, »und dein Alter versorgen; denn deine Schwiegertochter hat ihn geboren, die dich geliebt hat.« Naemi aber nahm das Kindlein auf ihren Schoß und wurde seine Erzieherin.

Das war die Geschichte der frommen Ruth, und aus einem ihrer Nachkommen
wird noch etwas.
 
 
 
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