Allgemeine
Betrachtung über das Weltgebäude [2]:
Fortsetzung über die Erde und Sonne
(1806
+ 1813)
Nachdem in der
vorhergegangenen Predigt zuerst von der Erde und hernach von der Sonne,
jede für sich geredet worden ist, so wollen wir nur noch mit wenigem
hören, wie sie untereinander in guter Freundschaft leben, und wie aus
ihrer Liebe zueinander Tag und Nacht, Märzveilchen, Erndekränze, Wein
und gefrorne Fensterscheiben entstehen.
Da die unermeßlich große Sonne
in einer so unermeßlich weiten Entfernung von uns weg ist, so hat es den
Sternforschern schon lange nicht mehr einleuchten wollen, daß sie
unaufhörlich und je in 24 Stunden um die kleine Erde herumspringen soll
in einer unbegreiflichen Kraft und Geschwindigkeit, nur damit wir in
diesem kurzen Zeitraum einmal Morgen und Mittag, Abend und Nacht
bekämen, und wandelnde Sterne. Denn die Naturkündiger haben sich
überzeugt, daß alles, was geschieht, auf eine viel einfachere und
leichtere Art auch geschehen könnte. Allein ein rechtschaffner
Sternseher, Kopernikus genannt, hat bewiesen, daß es nicht nur so
geschehen könnte, wie die Naturforscher denken, sondern daß es wirklich
so geschieht, und die göttliche Weisheit hat früher daran gedacht, als
die menschliche.
Der geneigte Leser wird jetzt erfahren, was Kopernikus behauptet und
bewiesen hat, wird aber ersucht, zuerst alles zu lesen, ehe er den Kopf
schüttelt, oder gar lacht.
Erstlich, sagt Kopernikus, die Sonne, ja selbst die Sterne haben gegen
die Erde weiters keine Bewegung, sondern sie stehen für uns so gut als
still.
Zweitens, die Erde dreht sich in 24 Stunden um sich selber um. Nämlich,
man stelle sich vor, wie wenn von einem Punkt der Erdkugel durch ihr
Zentrum bis zum entgegengesetzten Punkt eine lange Spindel oder Achse
gezogen wäre. Diese zwei Punkte nennt man die Pole. Gleichsam um diese
Achse herum dreht sich die Erde in 24 Stunden, nicht nach der Sonne,
sondern gegen die Sonne, und wenn ein langer roter Faden ohne Erde, ich
will sagen am 21. März von der Sonne herab auf die Erde reichte, und
mittags um 12 Uhr, an einen Kirschbaum oder an einem Kruzifix auf dem
Felde angeknüpft
würde, so würde die Erdkugel diesen Faden in 24 Stunden einmal ganz um
sich herum gezogen haben, und so jeden andern Tag.
Auf diese einfache Weise geschieht das nämliche, was geschehen würde,
wenn die Sonne in der nämlichen Zeit, einen Kreisgang von 132 Millionen
Meilen rings um die feststehende Erde herum wandeln müßte. Nämlich die
eine Hälfte der Erdkugel ist gegen die Sonne gekehrt, und hat Tag, und
eine Hälfte ist von der Sonne abgekehrt gegen die Sterne hinaus, und hat
Nacht, aber nie die nämliche, sondern wie die Erdkugel sich gleichsam an
ihrer Achse gegen die Sonne dreht, löst sich immer an dem einen Rand der
finstern Hälfte ein wenig von der Nacht in die Dämmerung auf, bis man
dort die ersten Strahlen der Sonne erblicken kann, und meint, sie gehe
auf, und an der ändern Seite der erleuchteten Hälfte wird's immer später
und kühler, bis man die Sonne nicht mehr sieht, und meint, sie sei
untergegangen, und der Morgen und Mittag und Abend, das heilige
Osterfest und sein Glockengeläute wandeln in 24 Stunden um die Erde
herum, und erscheinen nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in
Wien zum Beispiel
24 Minuten früher als in Paris.
Drittens, sagt Kopernikus, während die Erde den Morgen und den Abend,
und zu seiner Zeit das heilige Osterfest in 24 Stunden gleichsam um sich
herum spinnt, bleibt sie nicht an dem nämlichen Ort, im unermeßlichen
Weltraum stehen, sondern sie bewegt sich unaufhörlich, und mit
unbegreiflicher Geschwindigkeit in einer großen Kreislinie, zwischen der
Sonne und den Sternen fort, und kommt in 365 Tagen und ungefähr 6
Stunden um die Sonne herum, und wieder auf den alten Ort.
Deswegen und weil alsdann nach 365 Tagen, und ungefähr 6 Stunden alles
wieder so wird, und alles wieder so steht, wie es vor ebensoviel Zeit
auch gestanden ist, so rechnet man 365 Tage zu einem Jahr, und spart die
6 Stunden vier Jahre lang zusammen, bis sie auch 24 Stunden ausmachen,
denn man darf nichts von der kostbaren Zeit verloren gehn lassen.
Deswegen rechnet man je auf das 4. Jahr einen Tag mehr, und nennt es
das Schaltjahr.
Die Sache fängt an, dem verständigen Leser einzuleuchten, und er wäre
bald bekehrt, wenn er nur auch etwas von dem Drehen und Laufen der
Erdkugel verspüren könnte! Deswegen und
Viertens, sagt der Hausfreund, man kann die Bewegung eines Gefährtes,
auf welchem man mitfahrt, eigentlich nie an dem Gefährte selbst
erkennen, sondern man erkennt sie an den Gegenständen rechts und links,
an den Bäumen und Kirchtürmen, welche stehenbleiben, und an denen man
nach und nach vorbeikommt. Wenn ihr auf einem sanftfahrenden Wagen, oder
lieber in einem Schifflein auf dem Rhein fahrt, und ihr schließt die
Augen zu, oder ihr schaut eurem Kameraden, der mit euch fahrt, steif
auf einen Rockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiterkommt.
Wenn ihr aber umschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bei
euch auf dem Gefährte sind, da kommt euch das Ferne immer näher, und das
Nahe und Gegenwärtige verschwindet hinter eurem Rücken, und daran
erkennt ihr erst, daß ihr vorwärts kommt, also auch die Erde. An der
Erde selbst und allem was auf ihr ist, so weit man schauen kann, läßt
sich ihre Bewegung nicht absehen; (denn die Erde ist selbst das große
Gefährte, und alles was man auf ihr sieht, fahrt selber mit:) sondern
man muß nach etwas schauen, das stehenbleibt, und nicht mitfahrt, und
das sind eben nach Nro. 1 die Sonne und die Sterne, zum Beispiel der sogenannte Tierkreis. Denn 12 große Gestirne, welche man die 12
himmlischen Zeichen nennt, stehn am Himmel in einem hohen Kreis um die
Erde herum. Sie heißen: der Widder, der Stier, die Zwillinge, der Krebs,
der Löwe, die Jungfrau, die Waage, der Skorpion, der Schütz, der
Steinbock, der Wassermann, die Fische.
Eins folgt auf das andere, und das letzte schließt an das erste wieder
an, nämlich die Fische an den Widder. Dies ist der Tierkreis. Er steht
aber noch viel höher am Firmament als die Sonne, und sie steht von hier
aus betrachtet immer zwischen den zwei Linien, die seinen Rand
bezeichnen, und in einem Zeichen derselben. Denn ob sie gleich noch weit
herwärts desselben steht, so meint man doch wegen der sehr großen
Entfernung, sie befinde sich in dem Zeichen selbst. Wenn sie aber heute
in dem Zeichen des Steinbocks steht, so steht sie nach 30 Tagen nicht
mehr im Zeichen des Steinbocks, sondern im nächsten, und je nach 30
Tagen immer in dem nächstfolgenden, und daran erkennt man, daß die Erde
in ihrem Kreislauf unterdessen vorwärts gegangen sei. Es kann nicht
fehlen. Zu dem allem sagt
Fünftes und letztens der Kopernikus wieder, wenn gleichwohl die Achse
der Erdkugel gegen die Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich
auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden
Zirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des
Zirkelkreises stünde, so müßte jahraus jahrein, und auf allen Orten der
Erde Tag und Nacht gleich sein. Ja es müßte mitten auf der Erde rechts
und links um den roten Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu
beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein
wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herabfielen, und näher gegen die
Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist
nicht so, sagt der Sternseher. Die Achse der Erde liegt nicht waagrecht
und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von
67 Graden, wer's versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich
die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr
um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.
Wenn am 21. März der geneigte Leser sich vor den roten Adler stellt, vor
das Wirtshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so
ist der Kreis, den an selbigem Tag der rote Faden um die Erde zieht noch
1470 Stunden Wegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein
Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von
ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte
Leser am 21. März. Aber schon am 22. legt sich der Faden nicht mehr ganz
an das bewußte Kruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas
herwärts gegen uns daran vorbei, und so windet er sich von 24 Stunden zu
24 Stunden in einer Schraubenlinie fort, und kommt immer näher gegen uns
bis zum 21. Juni, und ist alsdann gleichwohl noch nicht bei uns, sondern
ist uns nur ungefähr um 705 Stunden, oder 352 1/2 Meile näher gekommen.
Aber vom 21. Juni an kehrt der Faden in den nämlidien Windungen wieder
zurück, immer weiter von uns weg, bis er ungefähr am 21. September in
gleicher Entfernung von beiden Polen wieder satt an dem Kruzifix
vorbeistreift. Von dieser Zeit an wendet er sich jenseits gegen den
ändern Pol immer weiter und weiter von uns weg bis ungefähr zum 21.
Dezember, wo er 1440 Stunden weit, rechts hinaus von uns entfernt ist,
kehrt alsdann ebenso zurück, und trifft am 21. März wieder richtig bei
dem Kruzifix ein. Aber bis zu uns kommt er nie, weil wir so weit von ihm
weg wohnen, hinaus gegen den Pol.
Aus dieser figürlichen Vorstellung ist nun zu erkennen, was zwar der
geneigte Leser schon weiß, daß er während des Kreislaufs der Erde nicht
immer in der nämlichen Richtung gegen die Sonne bleiben könne, aber die
Astronomen haben daraus berechnet, in welcher schiefen Linie die Erde
binnen Jahresfrist die Sonne umlaufen muß, damit diese Veränderungen
und
die 4 Jahreszeiten zustande kommen.
Der Frühling beginnt um den 21. März, wann der rote Faden gerade auf das
Kruzifix herabreicht. Die Sonne steht gleich weit von beiden Polen über
der Erde. Tag und Nacht sind gleich. Die Sonne scheint immer näher zu
kommen, und immer höher am Himmel aufzusteigen, je mehr sich der rote
Faden nähert. Der Tag und die Wärme nehmen zu, die Nacht und die Kälte
nehmen ab.
Der Sommer beginnt um den 21. Juni, wenn der Faden am weitesten von dem
Kruzifix entfernt, und am nächsten bei uns ist. Alsdann steht die Sonne
am höchsten über dem Haupt des geneigten Lesers, und dieser Tag ist der
längste. Sowie sich der Faden wieder hinauswindet, kommt die Sonne immer
schiefer gegen uns zu stehen, und die Tage werden kürzer.
Der Herbst beginnt am 21. September. Tag und Nacht sind wieder gleich,
weil die Sonne, besage des Fadens wieder über dem Kruzifix steht. Aber
je weiter er alsdann jenseits hinauslauft gegen den ändern Pol, desto
tiefer stellt sich gegen uns die Sonne. Die Tage und die Wärme nehmen
immer mehr ab, die Nächte und die Kühle nehmen zu.
Der Winter beginnt, wenn am 20. Dezember der Faden am weitesten jenseits
von uns entfernt ist. Der geneigte Leser verschläft alsdann die längste
Nacht, und die Sonne steht so tief, daß sie ihm noch früh um 9 Uhr durch
des Nachbarn Kaminhut in das Stüblein schauen kann, wenn die
Fensterscheiben nicht gefroren sind.
Endlich wenn von diesem Tage an der Faden zurückkehrt, verlängern sich
auch die Tage wieder. Am 22. Februar auf Petri Stuhlfeier kommt schon
der Storch in seine alte Heimat zurück- und ungefähr am 20. März trifft
der rote Faden wieder bei dem Kruzifix ein. Dies hat noch nie falliert.
Hieraus ist zu gleicher Zeit zu erkennen, daß nie auf der ganzen Erde
die nämliche Jahrszeit herrscht. Denn zu gleicher Zeit, und in gleichem
Maße, wie sich die Sonne von unserm Scheitelpunkt entfernt, oder wir von
der Sonne, kommt sie höher über diejenige zu stehen, welche jenseits des
Kruzifixes gegen den ändern Pol hinaus wohnen, und umgekehrt ebenso.
Wenn hier die letzten Blumen verwelken, und das Laub von den Bäumen
fällt, fängt dort alles an zu grünen und zu blühen. Wenn wir in unserm
Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste
Sommertag, und der Hausfreund kann sich nicht genug über die göttliche
Weisheit verwundern, die mit einer Sonne auf der ganzen Erde
ausreicht, und in die winterlichste Landschaften noch einen lustigen
Frühling, und eine fröhliche Ernte bringen kann.
Soviel für diesmal von der Erde. Gleichwohl wenn ein Mensch von
derselben sich aufheben, und in grader Linie langsam oder geschwind zum
Abendstern aufsteigen könnte, der unter allen Sternen der nächste ist,
so würde er noch merkwürdige Dinge sehen. Der Stern würde vor seinen
Augen immer größer werden, zuerst wie der Mond, bald darauf wie ein
großes Rad, zuletzt wie eine unübersehbare Kugel oder Fläche. Sein Licht
würde ihm immer milder erscheinen, weil es sich immer über eine größere
Fläche verbreitete, ja er würde in einer gewissen Entfernung davon schon
Berge und Täler entdecken, und allerlei, und zuletzt auf einer neuen
Erde landen. Aber in der nämlichen Proportion müßte unter ihm
die Erde immer kleiner werden, und glänzender ihr Licht,
weil es
sich auf einen kleinern Raum zusammendrängt. In einer gewissen
Entfernung hätte sie für ihn noch den Umfang wie ein großes Rad, hernach wie eine Schützenscheibe,
hernach wie der Mond, und endlich
wenn er gelandet wäre, würde er sie weit draußen am Himmel, als einen
lieblichen Stern unter den ändern erblicken, und mit ihnen auf-
und untergehn
sehen. „Sieh dort", würde er zu seinem ersten Bekannten
sagen, mit dem er bekannt wird, „sieh jenen lieblichen
Stern, dort bin ich daheim, und mein Vater und meine
Mutter
leben auch noch dort. Die Mutter ist eine geborne
Soundso."
Es müßte ein wundersames
Vergnügen sein, die Erde unter den Sternen des Himmels und ganz
als ihresgleichen wandeln zu sehen,
und der Hausfreund hat dem geneigten
Leser diese Freude in dem Artikel von den Planeten
zugedacht.
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