Allgemeine
Betrachtung über das Weltgebäude [1]:
Die Erde und die Sonne (1805 + 1812)
Dem geneigten Leser, wenn er zwischen seinen
bekannten Bergen und Bäumen daheim sitzt bei den Seinigen, oder bei
einem Schöpplein im Adler, so ist's ihm wohl, und er denkt just nicht
weiter. Wenn aber früh die Sonne in ihrer stillen Herrlichkeit aufgeht,
so weiß er nicht, wo sie herkommt, und wenn sie abends untergeht, weiß
er nicht, wo sie hinzieht, und wo sie die Nacht hindurch ihr Licht
verbirgt, und auf welchem geheimen Fußpfad sie die Berge ihres Aufgangs
wiederfindet. Oder wenn der Mond einmal bleich und mager, ein andermal
rund und voll durch die Nacht spaziert, er weiß wieder nicht, wo das
herrührt, und wenn er in den Himmel voll Sterne hinaufschaut, einer
blinkt schöner und freudiger als der andere, so meint er, sie seien alle
wegen seiner da, und weiß doch nicht recht, was sie wollen. Guter
Freund, das ist nicht löblich, daß man so etwas alle Tage sieht, und
fragt nie, was es bedeutet. Der Himmel ist ein großes Buch über die
göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen
den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen
Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, man kann es nicht
verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem
Buch lesen kann, in diesem Psalter, und liest darin, dem wird hernach
die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Straße ist,
und wenn ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu tun, er kann
nimmer.
Also will jetzt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die
Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne.
Die Erde und die Sonne
Nach dem
Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen
ihren Bergen und Tälern eine große runde Fläche, gleich einer ungeheuer
großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort
ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle
Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf
und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen
bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer
und Winter, und bei Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen
nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen.
Das wäre nun alles gut, wenn's niemand besser wüßte, aber wir Sternseher
und Kalendermacher wissen's besser. Denn erstlich, wenn einer daheim
weggeht, und will reisen bis ans Ende der Erde, an den Rand, wo man
einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche
stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den
rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn er will durch
Deutschland, durch Polen, durch Rußland, nach Asien hinein durch die
Muhamedaner und Heiden, vom Land aufs Wasser, und vom Wasser wieder aufs
Land, und immer weiter. Aber endlich, wenn er ein Pfeiflein Tobak
einfüllt, und will daran denken, wie lang er schon von den Seinigen weg
ist, und wie weit er noch zu reisen hat ans Ende der Erde und wieder
zurück, auf einmal wird's ihm heimlich in seinem Gemüt, es wird nach und
nach alles, wie es daheim war, er hört seine Landessprache wieder
sprechen, zuletzt erblickt er von weitem einen Kirchturm, den er auch
schon gesehen hat, und wenn er auf ihn hingeht, kommt er in ein
wohlbekanntes Dorf, und hat nur noch 2 Stunden oder drei, so ist er
wieder daheim, und hat das Ende der Erde nie gesehen. Nämlich er reist
um die Erde, wie man einen Strich mit Kreide um eine Kugel herumzieht,
und kommt zuletzt wieder auf den alten Fleck, von dem er ausging.
Es sind schon mehr als 20 solcher Reisen um die Erde nach verschiedenen
Richtungen gemacht worden. In zwei bis vier Jahren, je nachdem, ist
alles geschehen. Ist nicht der englische Seekapitän Cook, in einem Leben
zweimal um die ganze Erde herum gereist, und von der anderen Seite her
wieder heimgekommen, aber das drittemal haben ihn die Wilden auf der
Insel Owai ein wenig totgeschlagen, und gegessen.
Daraus und aus mehrern sicheren Anzeigen erkennen die Gelehrten
folgendes: die Erde ist nicht bloß eine ausgebreitete, rund
abgeschnittene Fläche, nein, sie ist eine ungeheure große Kugel.
Weiters: sie hängt und schwebt frei und ohne Unterstützung, wie seines
Orts die Sonne und der Mond, in dem unermeßlichen Raum des Weltalls
unten und oben zwischen lauter himmlischen Sternen. Weiters: sie ist
rings um und um, wo sie Land hat, und wo die Hitze oder der bittere
Frost es erlaubt, mit Pflanzen ohne Zahl besetzt, und von Tieren und
vernünftigen Menschen belebt. Man muß nicht glauben, daß auf diese Art
ein Teil der Geschöpfe mit dem Kopf abwärts hänge, und in Gefahr stehe,
von der Erde weg, und in die Luft herabzufallen. Dies ist lächerlich.
Überall werden die Körper durch ihre Schwere an die Erde angezogen, und
können ihr nicht entlaufen. Überall nennt man unten, was man unter den
Füßen hat; und oben, was über dem Haupt hinaus ist. Niemand merkt oder
kann sagen, daß er unten sei. Alle sind oben, solang sie die Erde unter
den Füßen, und den Himmel voll Licht oder Sterne über dem Haupte haben.
Aber der geneigte Leser wird nicht wenig erstaunen, wenn er's zum
erstenmal hören sollte, wie groß diese Kugel sei: Denn
der Durchmesser
der Erde beträgt in gerader Linie von einem Punkt der Oberfläche durch
das Zentrum hindurch zum andern Punkt, eintausendsiebenhundertundzwanzig
deutsche Meilen. Der Umkreis der Kugel aber beträgt
fünftausendvierhundert deutsche Meilen.
Ihre Oberfläche aber beträgt
über neun Millionen Meilen ins Gevierte, und davon sind zwei Dritteil
Wasser, und ein Dritteil Land.
Ihre ganze Masse aber beträgt mehr als
zweitausendsechshundertundzweiundsechzig Millionen Meilen im Klaftermaß.
Das haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und
ausgerechnet, und sprechen davon, wie von einer gemeinen Sache. Aber
niemand kann die göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheure große
Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt, und jedem Pflänzlein
darauf seinen Tau und sein Gedeihen gibt, und dem Kindlein, das geboren
wird, einen lebendigen Odem in die Nase. Man rechnet, daß tausend
Millionen Menschen zu gleicher Zeit auf der Erde leben, und bei dem
lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Getier. Aber es kommt noch
besser.
Denn zweitens: die Sonne, so nahe sie zu sein scheint, wenn sie früh
hinter den Bergen in die frische Morgenluft hinauf schaut, so ist sie
doch über zwanzig Millionen Meilen weit von der Erde entfernt. Weil aber
eine solche Zahl sich geschwinder aussprechen, als erwägen und ausdenken
läßt, so merke: Wenn auf der Sonne eine große scharf geladene Kanone
stünde, und der Konstabler, der hinten steht und sie richtet, zielte auf
keinen ändern Menschen als auf dich, so dürftest du deswegen in dem
nämlichen Augenblick, als sie losgebrannt wird, noch herzhaft anfangen
ein neues Haus zu bauen, und könntest darin essen und trinken und
schlafen, oder du könntest ohne Anstand noch geschwinde heiraten, und
Kinder erzeugen und ein Handwerk lernen lassen, und sie wieder
verheiraten und vielleicht noch Enkel erleben. Denn wenn auch die Kugel
in schnurgerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit immer
fort und fort flöge, so könnte sie doch erst nach Verfluß von 25 Jahren
von der Sonne hinweg auf der Erde anlangen, so doch eine Kanonenkugel
einen scharfen Flug hat, und zu einer Weite von 600 Fuß, nicht mehr als
den sechzigsten Teil einer Minute bedarf.
Daß nun weiters die Sonne auch nicht bloß eine glänzende Fensterscheibe
des Himmels, sondern wie unser Erdkörper eine schwebende Kugel sei,
begreift man schon leichter. Aber wer vermag mit seinen Gedanken ihre
Größe zu umfassen, nachdem sie aus einer so entsetzlichen Ferne solche
Kraft des Lichts und der Wärme noch auf die Erde ausübt, und alles
segnet, was ihr mildes Antlitz bescheint? Der Durchmesser der Sonne ist
114mal größer als der Durchmesser der Erde. Aber im Körpermaß beträgt
ihre Masse anderthalb Millionen mal so viel als die Erde. Wenn sie hohl
wäre inwendig, so hätte nicht nur unsere Erde in ihr Raum, auch der
Mond, der doch 50 000 Meilen von uns absteht, könnte darin ohne Anstoß
auf- und untergehn, wie so, ja er könnte noch einmal soweit von uns
entfernt sein als er ist, und doch ohne Anstoß um die Erde
herumspazieren, wenn er wollte. So groß ist die Sonne, und geht aus der
nämlichen allmächtigen Hand hervor, die auf der Erde das Magsamen- oder
Mohnsamenkörnlein in seiner Schale bildet und zur Reife bringt, eins so
unbegreiflich, wie das andere. Der Hausfreund wenigstens wüßte keine
Wahl, wenn er eine Sonne, oder ein Magsamenkörnlein machen müßte mit
einem fruchtbaren Keim darin.
Lange nun glaubten selbst die gelehrtesten Sternforscher, diese ganze
unermeßliche Sonnenmasse sei nichts anders, als eine glühende Feuerkugel
durch und durch. Nur konnte keiner von ihnen begreifen, wo dieses Feuer
seine ewige Nahrung faßt, daß es in tausend und aber tausend Jahren
nicht abnimmt, und zuletzt, wie ein Lämplein verlöscht; denn die
gelehrten Leute wissen auch nicht alles, und reiten manchmal auf einem
fahlen Pferd. Wer alles wissen will, dem ist schlecht zu trauen, sondern
er treibt's mit seinen Antworten, wie der Matheis, der das Eis bricht.
„Hat er keins, macht er eins" nach dem Sprichwort.
Deswegen will es nun heutzutag den Sternforschern und andern
verständigen Leuten scheinen, die Sonne könne an sich wohl wie unsere
Erde ein dunkler und temperierter, ja ein bewohnbarer Weltkörper sein.
Aber wie die Erde ringsum mit erquickender Luft umgeben ist, so umgibt
die Sonne ringsum das erfreuliche Licht, und es ist nicht notwendig, daß
dasselbe auf dem Sonnenkörper selbst eine unausstehliche zerstörende
Hitze verursachen müsse, sondern ihre Strahlen erzeugen die Wärme und
Hitze erst, wenn sie sich mit der irdischen Luft vermischen, und ziehen
dieselbe gleichsam aus den Körpern hervor. Denn daß die Erde eine große
Masse von verborgener Wärme in sich selbst hat, und nur auf etwas warten
muß, um sie von sich zu geben, das ist daran zu erkennen, daß zwei kalte
Körper mitten im Winter durch anhaltendes Reiben zuerst in Wärme,
hernach in Hitze, und endlich in Glut gebracht werden können. Und wie
geht es zu, je weiter man an einem hohen Berg hinaufsteigt, und je näher
man der Sonne kommt, daß man immer mehr in die Hände hauchen muß, und
zuletzt vor Schnee und Eis nimmer weiterkommt, fragen die Naturkundiger,
wenn die Sonne ein sprühendes Feuer sein soll?
Also wäre es wohl möglich, daß sie an sich ein fester mit mildem Licht
umflossener Weltkörper sei, und daß auf ihr jahraus jahrein wunderschöne
Pfingstblumen blühen und duften, und statt der Menschen fromme Engel
dort wohnen, und ist dort, wie im neuen Jerusalem, keine Nacht und kein
Winter, sondern Tag und zwar ein ewiger freudenvoller Sabbat und hoher
Feiertag. Schon Doktor Luther hat einmal so etwas verlauten lassen, und
der gelehrige Leser begreift's ein wenig, aber doch nicht recht.
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