König Friedrich und
sein Nachbar (1819)
Der König Friedrich
von Preußen hatte 8 Stunden von Berlin freilich ein schönes Lustschloß,
und war gerne darin, wenn nur nicht ganz nahe daneben die unruhige Mühle
gewesen wäre. Denn erstlich stehn ein königliches Schloß und eine Mühle
nicht gut nebeneinander, obgleich das Weißbrot schmeckt auch in dem
Schloß nicht übel, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl
gebacken hat. Außerdem aber wenn der König in seinen besten Gedanken
war, und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal ließ der Müller das
Wasser in die Räder schießen und dachte auch nicht an den Herrn Nachbar,
und die Gedanken des Königs stellten das Räderwerk der Mühle nicht, aber
manchmal das Klapperwerk der Räder die Gedanken des Königs. Der
geneigte Leser sagt: „Ein König hat Geld wie Laub, warum kauft er dem
Nachbar die Mühle nicht ab, und läßt sie niederreißen?" Der König wußte,
warum. Denn eines Tages ließ er den Müller zu sich rufen. „Ihr
begreift", sagte er zu ihm, „daß wir zwei nicht nebeneinander bestehen
können. Einer muß weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlößlein?" - Der
Müller sagte: „Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar." Der
König erwiderte ihm: „Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht,
daß Ihr mir mein Schloß abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?"
Der Müller erwiderte: „Gnädigster Herr, so habt auch Ihr nicht so viel
Geld, daß Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist mir nicht feil."
Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und dritte, aber der
Nachbar blieb bei seiner Rede. „Sie ist mir nicht feil. Wie ich darin
geboren bin", sagte er: „so will ich darin sterben, und wie sie mir von
meinen Vätern erhalten worden ist, so sollen sie meine Nachkommen von
mir erhalten, und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben." Da nahm
der König eine ernsthaftere Sprache an: „Wißt Ihr auch, guter Mann, daß
ich gar nicht nötig habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Euere Mühle
taxieren, und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es
nicht!" Da lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte
dem König: „Gut gesagt allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in
Berlin nicht wäre." Nämlich, daß er es wolle auf einen richterlichen
Ausspruch ankommen lassen.
Der König war ein gerechter Herr und konnte
überaus gnädig sein, also daß ihm die Herzhaftigkeit und Freimütigkeit
einer Rede nicht mißfällig war, sondern wohlgefiel. Denn er ließ von
dieser Zeit an den Müller unangefochten, und unterhielt fortwährend mit
ihm eine friedliche Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon
ein wenig Respekt haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor
einem solchen Herrn Nachbar.
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