Der
Heiner und der Brassenheimer Müller (1810)
Eines Tages saß der Heiner ganz betrübt in einem Wirtshaus, und dachte
daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und darnach sein eigener Bruder
verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. „Nein", dachte er, „es ist
bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint, es sei einer noch
so ehrlich, so ist er ein Spitzbub." Unterdessen kommen mehrere Gäste in
das Wirtshaus, und trinken Neuen, und „wißt Ihr auch", sagte einer, „daß
der Zundelheiner im Land ist, und wird morgen im ganzen Amt ein Treibjagen
auf ihn angestellt, und der Amtmann und die Schreiber stehen auf dem
Anstand?" Als das der Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den
Augen, denn er dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten. Ein
anderer aber sagte: „Es ist wieder einmal ein blinder Lärm. Sitzt nicht
der Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?" Drüber kommt auf
einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit roten Pausbacken
und kleinen freundlichen Augen dahergeritten. Und als er in die Stube kam,
und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen, Bescheid, und hört, daß
sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er: „Ich hab schon so viel von dem
Zundelheiner erzählen gehört. Ich möcht ihn doch auch einmal sehen." Da
sagte ein anderer: „Nehmt Euch in acht, daß Ihr ihn nicht zu früh zu sehen
bekommt. Es geht die Rede, er sei wieder im Land." Aber der Müller mit
seinen Pausbacken sagte: „Pah! ich komm noch bei guter Tagszeit durch den
Fridstädter Wald, dann bin ich auf der Landstraße, und wenn's fehlen will,
geb ich dem Schimmel die Sporen." Als das der Heiner hörte, fragt er die
Wirtin: „Was bin ich schuldig", und geht fort in den Fridstädter Wald.
Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein lahmer Mensch. „Gebt mir für
ein Käsperlein Eure Krücke", sagte er zu dem lahmen Soldaten. „Ich habe
das linke Bein übertreten, daß ich laut schreien möchte, wenn ich drauf
treten muß. Im nächsten Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der
Wagner eine neue." Also gab ihm der Bettler die Krücke. Bald darauf gehen
zwei betrunkene Soldaten an ihm vorbei, und singen das Reuterlied. Wie er
in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen Ast,
setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Straße, und zieht das
linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre. Drüber kommt auf stattlichem
Schimmel der Müller dahertrottiert, und macht ein Gesicht, als wenn er
sagen wollte: „Bin ich nicht der reiche Müller, und bin ich nicht der
schöne Müller, und bin ich nicht der witzige Müller?" Als aber der witzige
Müller zu dem Heiner kam, sagt der Heiner mit kläglicher Stimme: „Wolltet
Ihr nicht ein Werk der Barmherzigkeit tun an einem
armen lahmen Mann. Zwei betrunkene Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet
sein, haben mir all mein Almosengeld abgenommen, und haben mir aus
Bosheit, daß es so wenig
war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist in den Ästen
hängenblieben, daß ich nun nimmer weiter kann. Wolltet Ihr nicht so gut
sein, und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?" Der Müller sagte: „Ja sie
sind mir begegnet an der Waldspitze. Sie haben gesungen: So herzig, wie
mein Lisel, ist halt nichts auf der Welt." Weil aber der Müller auf
einem schmalen Steg über einen Graben zu dem Baum mußte, so stieg er von
dem Roß ab, um die Krücke herabzuzwicken.

Als er aber an dem Baum war, und
schaut hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den
stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen, und reitet
davon. „Laßt Euch das Gehen nicht verdrießen", rief er dem Müller zurück,
„und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruß aus von dem
Zundelheiner!" Als er aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach
Brassenheim und an die Mühle kam, und alle Räder klapperten, daß ihn
niemand hörte, stieg er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel
wieder an der Haustüre an, und setzte seinen Weg zu Fuß fort.
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