Hülfe in der Not (1815)
Als im verwichenen Spätjahr der Zirkelschmied mit
seiner Frau ungegessen ins Bett gehen wollte - schon seit drei Tagen war
kein Feuer mehr in die Küche gekommen, und das letzte Mäuslein hatte
sich ausquartiert, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von
Brassenheim einen fetten Schinken, so groß als manches Säulein, was noch
ganz ist, und drei Würste dazu, so lang wie Glockenseiler, und der
Zirkelschmied wußte nicht warum, der geneigte Leser weiß es auch nicht.
Aber er erfährt's.
Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das
Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied saß damals
auch schon drin, etwa beim dritten Schöpplein, oder beim vierten. Als
der Fremde eine Zeitlang da war, und dem Zirkelschmied weniger pfiffig
als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich will ein Gespräch mit
ihm anfangen. Vielleicht läßt er sich über den Löffel halbieren. „Ihr
seid wohl auch zum erstenmal hier, seitdem der Rosenwirt dies schöne
Haus gebaut hat, weil Ihr so lange an einem Nagel gesucht habt für Euern
Kaputrock?" Der Fremde sagte: „Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte
mein Haus noch nicht gegen dieses, wenn eins nicht wäre." - „Habt Ihr
noch namhafte Schulden darauf?" - „Das nicht." - „Oder riecht der
Abtritt?" - „Das auch nicht." - „Oder habt Ihr ein böses Weib im Haus?"
- „Das auch nicht, aber sonst nichts Gutes." Endlich erfuhr der
Zirkelschmied nach einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das
Unglück habe in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht
auf seinem Speicher erwache, und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen
sehe und an den Lücken im Dach. Der wohlbelehrte Leser des
Rheinländischen Hausfreundes ist darüber im klaren, ehe man ihm sagt,
daß dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des
Hausbesitzers könne gewesen sein. Nämlich es war sein eigener Schwager,
der ihm das Haus verleiden, und feil machen wollte. Der Zirkelschmied
sagte: „Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch gegessen und noch
keinem Roß das Einmaleins abgehört habt, so ist Rat, wenn's Euch auf
zwei Große Taler nicht ankommt, einen sogleich, den andern, wenn Euch
geholfen ist." Der Fremde griff sogleich in die Tasche. „Jetzt geht zum
Herr Barbier", sagte der Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst
niemand in der Stube war, „und klagt ihm Eure Not. Anfänglich wird er
Euch kein Gehör geben, denn es ist ihm bei Strafe verboten. Wenn Ihr
aber nicht nachlaßt, so bekommt Ihr das Mittel (oder den Buckel voll
Schläge", dachte für sich der Zirkelschmied). Als aber der Fremde zu dem
Barbier gekommen war, der ein gar vernünftiger Mann ist, fuhr der
Barbier ihn an: „Wer hat Euch zu mir geschickt?" - „Einer in einem
abgeschabenen Röcklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit
einer breiten messingenen Schnalle, drei Finger hoch über den
Rockkragen, hinten auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreißig
Härlein, und doch ein Kamm drin." Da hob der Barbier drohend und zürnend
den Zeigefinger auf, und sagte: „Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab
ich dich einmal ausgekundschaftet." Der Fremde aber fiel ihm ins Wort:
„Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiß alles, und helft mir
von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst." Der Barbier bekam gute
Laune, weil er den Zirkelschmied ausgekundschaftet hatte. „Ich will Euch
ein stinkendes Rauchpulver geben", sagte er, „mit dem geht dem Geist auf
den Leib, und schlagt ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem
braven Weidenstumpen lederweich, bis er vor Euch zur Erde fällt, nur
nicht zu Tod, denn die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod
schlägt. Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrieen
nach Hause kann."
Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier, und dachte nicht daran,
was die Sache für ein schlimmes Ende nehmen könnte. Aber sie nimmt ein
gutes Ende. Der Hausfreund weiß es schon.
Denn, wie gesagt, im verwichenen Spätjahr am Katharinentag, als der
Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von Brassenheim,
wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens ein in einem
Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen Schild sieht. Als
er aber in der Stube war, und den Wirt erblickte, erschrak er gar sehr
und dachte: „O weh, wie werd ich wieder da herauskommen", und machte in
der Geschwindigkeit ein krummes Maul, daß ihn niemand kennen sollte,
denn der Wirt war der nämliche, dem er das Rauchpulver gegeben hatte,
und er wußte nicht wie der Handel ausgegangen war. Der Wirt aber,
während er ihm ein Schöpplein holte, sann hin und her. „Den Mann sollt
ich kennen. Wenn er nicht das Maul so verdammt krumm im Gesicht hätte,
so wär's der Barbier von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom
Gespenst erlöst hat. Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt",
und als er hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: „Woher des
Landes und wohin"; sagte er: „Herr Landsmann nehmt meine Neugierde nicht
zum Vorwitz auf! Wenn Euer Mund besser im Blei läge, so wollt ich
glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von
Brassenheim." Dem Barbier ging der Angstschweiß aus. „Wenn Euch mein
krummes Maul irremacht", sagte er, „so muß der Barbier von Brassenheim
ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der nämliche sein. Zudem,
so bin ich der Papiermüller von Neuhausen." Jetzt erzählte ihm der Wirt
die ganze Geschichte, und unmerklich, wie sie immer besser lautete, zog
sich sein Mund immer gerader in die Linie, „und Ihr seid es doch", rief
endlich der Wirt: „Freilich bin ich's", erwiderte der Barbier, „ich habe
Euch nur ein wenig vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt. Aber nicht
wahr", sagte er, „das Mittel hat geholfen?" - „Gleich aufs erstemal",
erwiderte der Wirt, und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und
die Kinder herein, und bestellte ein gutes Mittagsessen für seinen
ehrenwerten Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun
könne. Als daher der Barbier sich entschuldigte, daß er noch nach
Waldsheim auf den Katharinenmarkt gehen und ein Säulein kaufen wolle, da
ging eine freundliche Heiterkeit über das Angesicht des Wirtes, und
sagte er zu ihm: „Ei steht Euch keine von meinen an." Jetzt ließ er ihm
sechs gemästete Schweine, eines größer als das andere in den Hof
herausspringen. „Da sucht Euch eine heraus Herr Doktor." Der Barbier kam
in Verlegenheit, so ein Schwein könne er nicht bezahlen, auch nicht
gewältigen in seiner kleinen Haushaltung. Aber der Wirt faßte kurzweg
eine am Bein. „Die ist Euer." Also blieben sie beisammen über den
Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken hatten, befahl der Wirt
dem Knecht, das Wägelein anzuspannen und den Herrn Doktor und die Sau
nach Brassenheim zu führen. - Deswegen schickte der Barbier dem
Zirkelschmied tags darauf den Schinken und die Würste, weil sein
Mutwillen ihm dazu verholfen hatte. „Sieh, Bärbel", sagte hernachmals
der Zirkelschmied zu seiner Frau, „du hast mich schon oft verkannt. Mit
einem Mann, wie ich bin, ist eine Frau versorgt." |