Gutes Wort, böse Tat
(1810)
In einem edelmännischen Dorf trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im
Felde an. „Ist's noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den
Kindern zergliedert habt: So dich jemand schlägt auf deinen rechten
Backen, dem biete den andern auch dar?" Der Herr Schulmeister sagt:
„Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium." Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige, und die andere auch, denn er hatte
schon lang einen Verdruß auf ihn. Indem reitet in einiger Entfernung der
Edelmann vorbei und sein Jäger: „Schau doch nach, Joseph, was die zwei
dort miteinander haben." Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister,
der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen, und sagte: „Es
steht auch geschrieben: ,Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch wieder
gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Maß wird man in
euren Schoß geben'"; und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm noch ein
halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurück, und
sagte: „Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie legen einander
nur die Heilige Schrift aus."
Merke: Man muß die Heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht
versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann ließ den Bauern noch
selbige Nacht in den Turm werfen auf 6 Tage, und dem Herrn Schulmeister,
der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte haben sollen, gab er,
als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.
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