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Kürze und Länge des Lebens
(Freie Übertragung von Vergils 7. Ekloge)
Dumpf ertönte vom hohen Turm das Trauergeläute,
Und der Leichengesang erscholl zum blumigen Hügel,
Wo Bathyll und Damötas, noch beide blühend
dem Leben,
Beide kundig des Wechselgesanges, am Abhänge saßen.
Dieser
schaute jenen, der diesen schweigenden Blicks an,
Bis im stillen Verein,
unaufgefordert vom andern,
Also Bathyll begann und also Damötas ihm
folgte.
Bathyll
Kurz ist dein Leben, o Mensch. In einem Jahrhundert beginnt es,
Und im nämlichen fällt's. Einst sah dort die grünende Eiche
Gustav
Adolfs Heer, sieht jetzt des gallischen Cäsars
Siegende Fahnen wehn und
harrt noch auf spätes Ereignis.
Damötas
Lang ist dein Leben, o Mensch. In einem lachenden
Monat Ward die Blume des Hains; der nämliche Monat begräbt sie.
Kinder des lachenden Jahrs, buntfarbige Sylphen, die Ähre
Keimt schon
im zarten Gras, doch seht ihr nicht mehr die Ernte.
Bathyll
Kurz ist dein Leben, o Mensch. Im kühnen Busen entfaltet
Sich ein umfassender Plan. Der wollt' unsterbliche Lorbeer
Um die
Schläfe sich winden, der Millionen sich häufen.
Kaum noch gekannt, entschlief der eine, dürftig der andre.
Damötas J
Lang ist dein Leben, o Mensch. Bescheiden baut sich das Hüttchen
Hier eine fleißige Hand und ein genügendes Gärtchen.
Arm begann das
junge Paar; es spendet das Alter
Reichen Segen des Fleißes den Kindern und blühenden Enkeln.
Bathyll l
Kurz ist dein Leben, o Mensch. Bald ist der Becher der Freude
Ausgeschlürft. Es schwinden dahin die fröhlichen Tage
Unter Gesang
und Tanz. Es schwinden die fröhlichen Nächte,
Wie die leichten Wolken ziehn am herbstlichen Himmel.
Damötas
Lang ist dein Leben, o Mensch. Ihr einsamen Stunden der Trauer
Träufelt in bittern Sekunden langsam vom Dasein hernieder.
Auf dem Krankenlager, im öden, stillen Gefängnis
Steht es drückend
und schwer wie das Gewitter im Sommer.
Bathyll
Kurz ist dein Leben, o Mensch. Am Grabe wendet der Pilger
Ins Vergangne den Blick. Ach, über öde Gefilde,
Über verwelkte
Blumen, nur wenige waren's und arme,
Sieht er, schon nahe dem Grabe,
noch stehn die verlassene Wiege.
Damötas
Lang ist dein Leben, o Mensch. Entsteigt der Säugling der Wiege,
Welche Bahnen vor ihm! Es wallt der ahnende Knabe
Blühende Höhen
hinan. Weit dehnt sich dort sein Gesichtskreis;
Neues öffnet sich ihm,
und ins Unendliche geht er.
Also sangen die Freunde. Es rauscht in dem nahen Gebüsche.
Aus dem Gebüsche trat mit heiteren Blicken Euphronos:
«Lieblich wie das Wiegen der Wipfel im Hauche des Zephyrs
War mir euer Gesang. Ja kurz, ja lang ist das Leben.
Söhne, genießet es nur! O Söhne, nützet es weise!
Der hat lange gelebt, der froh und weise gelebt hat!»
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