5. Jesus der fromme Knabe.
Joseph, der Pflegevater Jesu, und
Maria gingen als rechtschaffene Israeliten alle Jahre nach Jerusalem auf
das Osterfest. Als nun Jesus das zwölfte Jahr erreicht hatte, nahm ihn
seine Mutter zum erstenmal mit auf das Fest. Er war insofern einer guten
Hand anvertraut: Gute Mutterhand führt ihre Kinder frühe zur
Gottseligkeit und zur Kirche an, wo Gott geehrt und sein Wort gelehrt
wird. Als sie sich aber zur Heimreise wieder anschickten, war der Knabe
Jesus nirgend vorhanden. Seine Mutter machte sich anfänglich keinen
Kummer deswegen. Sie dachte, er werde bei den Gefreundten und Bekannten
sein, die etwas früher von Jerusalem weggegangen waren, wie gar oft die
Kinder lieber mit den Verwandten als mit den Eltern gehen. Sie hoffte
also, sie werde ihn am Abend in der Herberge schon wieder finden bei
diesen Verwandten oder jenen. Denn sie wußte, daß er ein frommes und
verständiges Kind sei. Ein verständiges Kind begibt sich in keine
Gefahr. Die Mutter darf es schon bisweilen aus den Augen lassen.
Als sie aber am Abend in die Herberge kamen, schon eine Tagreise weit
von Jerusalem, wußten die Gefreundten und Bekannten auch nichts von ihm.
— Da war auf einmal der Verheißene wieder verloren. — Der Verheißene
kann nimmer verloren gehen. Seine Eltern begaben sich den Weg nach
Jerusalem zurück, daß sie ihn suchten. Auf dem ganzen Hinweg war von
keinem verlornen Kind etwas zu erfragen. Sie suchten ihn einen ganzen
Tag in Jerusalem. Er war nirgends zu erfragen. Am dritten Tage, als sie
in den Tempel gingen, wie wenn sie ein Gebet tun wollten, daß ihnen Gott
ihr Kind wiedergeben wolle, da saß er frohen Mutes im Tempel mitten
unter den Lehrern, daß er ihnen zuhörte und sie fragte; und viele Leute
waren um ihn her versammelt und verwunderten sich über seine Rede und
Antwort, wenn die Lehrer ihn auch etwas fragten. Als ihn nun seine
Eltern auf einmal so erblickten und jetzt wiederhatten, erschraken sie
vor Freude, und seine Mutter sprach zu ihm: »Mein Sohn, warum hast du
uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen
gesucht.« Jesus antwortete ihr: — »Was ist’s, daß ihr mich gesucht habt?
Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?« Aber
sie verstanden das Wort nicht.
Also ging er jetzt mit ihnen zurück nach Nazareth und war ihnen untertan
und nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und bei den Menschen.
Dieses ist die einzige Begebenheit aus den Jugendjahren Jesu, welche man
weiß. Von dem zwölften Jahr bis zu dem dreißigsten Jahr seines Lebens
weiß man nichts von ihm.
Merke: Von gut gearteten und wohlerzogenen Kindern hört man in ihrer
Jugend gewöhnlich nicht viel, als daß sie ihren Eltern untertänig sind,
daß sie an Weisheit und Liebenswürdigkeit bei Gott und Menschen zunehmen
und gerne in die Kirche und Schule gehen, wo viel Gutes zu hören und zu
lernen ist. — Von wem man in seiner Jugend sonst viel zu reden hat,
daran ist selten viel Gutes. Ich will mit Gottes Hilfe täglich
verständiger und frömmer werden. Ich will meinen Eltern untertan sein.
Ich will gerne da sein, wo Gott geehrt und Gutes gelehrt wird, daß ich
Gott gefalle und dem frömmsten Knaben Jesus ähnlich werde. Die Leute
sollen nicht viel von mir zu reden haben.
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