59. Stephanus.
Die Apostel und die, welche durch
ihr Wort waren glaubig geworden, führten anfänglich ein schönes
gemeinsames Leben. Sie waren alle ein Herz und eine Seele. Ja, sie
führten eine gemeinschaftliche Haushaltung unter der Aufsicht der
Apostel und reichten besonders den verlassenen und unglücklichen Witwen
ihre tägliche Nahrung. Als aber die Menge zu groß wurde und Unordnungen
vorgingen, wählten sie auf den Rat der Apostel sieben unbescholtene und
fromme Männer, welche dem Geschäft vorstehen sollten. Einer von ihnen
hieß Stephanus.
Stephanus war neben seiner Frömmigkeit auch ein schöner,
aber zugleich ein wortseliger und ein reizbarer Mann. Man sah ihm wohl
an, daß er noch ein Neuling und kein Apostel war. Seine Reizbarkeit
beförderte seinen Tod. Er wurde wegen der Lehre vor den Rat
geführt. Es traten falsche Zeugen gegen ihn auf und beschuldigten ihn,
wie er sollte gesagt haben, Jesus von Nazareth werde den Tempel
zerstören und die Gesetze ändern, die Moses gegeben habe. Diese Elenden wußten nicht einmal etwas Neues zu ersinnen. Sie brachten wieder die
nämliche Beschuldigung vor, welche Jesu war zur Last gelegt worden.
Alle, die im Rat saßen, sahen Stephanum an; er stand unter ihnen wie ein
Engel. Als ihn aber der Hohepriester fragte: »Ist dem also?«
begann er zu reden und nannte sie zwar in seiner Anrede zuerst gar fein
liebe Brüder und Väter und erinnerte sie an die Wohltaten, die Gott
seinem Volk erzeigt habe von Abrahams Zeiten an, bis er auf David und
Salomon kam, der dem Herrn den schönen Tempel baute. Als er aber des
Tempels erwähnte und nun wieder an die Beschuldigung dachte, wegen
welcher er verklagt war, und als er schon erhitzt war in seiner Rede,
verlor er die Fassung seines frommen Gemüts so sehr, daß er anfing, sie
zu schimpfen. Das tat kein Apostel. Er nannte sie Halsstarrige und
Unbeschnittene, was damals eine große Beleidigung war, und warf ihnen
vor, daß ihre Väter die Propheten getötet haben, und sie selbst seien
nicht besser.
Niemand läßt gerne seine Väter schimpfen, sich auch
nicht. Sie knirschten vor Zorn über diese Worte, und als er zuletzt noch
sprach: »Ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn stehen zur
Rechten Gottes,« rissen sie ihn ohne Recht und Richterspruch zur Stadt
hinaus und steinigten ihn. Als er aber fühlte, daß er jetzt bald sterben
werde, rief er: »Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!« Ja, er betete für
seine Mörder und ihre Genossen, daß ihnen Gott diese Sünde nicht
behalten wolle. Eines solchen Todes starb der fromme Stephanus, und es
stand ein junger Pharisäer dabei, namens Saulus, als sie ihn
steinigten, und hatte ein besonderes Wohlgefallen an seinem Tode. Der
junge Pharisäer ist derjenige, den Gott auserwählte, daß er unter den
Jüngern der zwölfte sei, und es sah ihn damals niemand dafür an. Gott
behielt ihm diese Sünde nicht.
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