36. David kommt heimlich
in das Lager des Saul.
Man kann den edlen Helden
David nicht genug lieb haben. So sehr auch Saul ihn verfolgte und nach
seinem Leben trachtete, so behielt doch David immer ein treues und
frommes Herz gegen ihn. Er vergaß nie, daß es sein König und sein
Schwiegervater und seines Freundes Jonathan Vater sei.
Einst war Saul wieder mit dreitausend Mann gegen ihn ausgezogen und
lagerte sich, daß er übernachtete, auf dem Hügel Hachila. Er lag außen
in der Wagenburg, und das Lager wurde nicht bewacht; denn er meinte,
David sei noch weit entfernt. Aber er war in seiner Nähe. David war keck
genug; er schlich sich mit einem Vertrauten, dem Abifai, in der Nacht an
des Königs Lager. Alles war in tiefem Schlaf. Er kam in die Wagenburg,
wo der König lag und seine Leute um ihn her, und sein Spieß steckte zu
seinen Häupten in der Erde. Da standen nun die zwei Wachenden und Gott
unter den Schlafenden, und Abisai wollte den König mit dem Spieß
erstechen. Aber David wehrte ihm. »Das lasse der Herr ferne von mir
sein, daß ich sollte meine Hand an den Gesalbten des Herrn legen!« Sie
nahmen nun den Spieß und den Wasserbecher des Königs von seinen Häupten
und kamen unbeschrien wieder hinaus.
David begab sich gegenüber dem Lager auf einen Berg und rief das Volk
und den Feldhauptmann des Königs an: »Was seid ihr für Leute, daß ihr so
euern Herrn, den König, bewachet! Siehe, hier ist der Spieß und der
Becher des Königs in meiner Hand!« Saul hörte die Stimme Davids und
sprach: »Ist das nicht deine Stimme, mein Sohn David?« David sprach: »Es
ist meine Stimme, mein Herr König. Warum verfolgst du mich? Was habe ich
getan, und was ist unrecht in meinen Händen?« Saul sprach: »Ich habe
gesündigt, mein Sohn David. Komm wieder! Ich will dir kein Leid mehr
tun.« Aber David wußte wohl, daß er dem alten, wunderlichen Mann nimmer
trauen durfte. Er schickte dem König seinen Spieß und seinen Becher in
das Lager zurück. »Der Herr«, sagte er, »wird jeglichem vergelten nach
seiner Gerechtigkeit und nach seiner Treue: denn du bist heute in meiner
Hand gewesen; aber ich wollte meine Hand nicht an den Gesalbten des
Herrn legen.«
Dies war das letztemal, daß David den Saul sah und mit ihm redete,
wiewohl von ferne. Er sah ihn nachher nicht mehr. Saul konnte mit seiner
ganzen Heeresmacht den David nicht besiegen. Aber David besiegte ihn und
beugte sein Herz mit einer großmütigen Tat und schied von seinem Feind
mit einem Gewissen ohne Schuld.
So will ich einst scheiden von allen meinen Feinden.
|