13. Jakobs Flucht.
Als Rebekka hörte, daß Jakob in
Todesgefahr sei, schickte sie ihn eilends fort nach Mesopotamia zu Laban,
ihrem Bruder, der in Haran wohnte. Als er lange durch fremde, einsame
Gegenden gereist war, wo er niemand kannte, kam er ebenfalls an einen
Brunnen auf dem Felde. Bei dem Brunnen lagen drei Hirten und warteten
auf die andern, daß sie miteinander ihre Schafe tränkten. Es zogen schon
Herden von daher und von dorther, und eine Jungfrau kam auch von
ferne her mit ihren Schafen. Jakob hielt ein wenig an dem Brunnen still
und sprach die Hirten an: »Wo seid ihr her?« Die Hirten sprachen: »Wir
sind von Haran.« Das war ein freudiges Wort in das Herz Jakobs, daß
diese Hirten aus dem Heimatsort seiner Verwandten seien, und daß er
jetzt schon so nahe an dem Ziel seiner Reise sei. »Kennt ihr auch den
Laban, den Abkömmling Bethuels?« fragte er die Hirten. Sie sagten: »Wir
kennen ihn wohl, und es geht ihm gut,« und die Jungfrau, die mit ihren
Schafen daherzog, war Labans Tochter. »Siehe da,« sprachen die Hirten,
»das ist Rahel, seine Tochter.«
Da durchzuckte eine wunderbare Freude das Herz Jakobs, als er die
Jungfrau sah, die Tochter des Bruders seiner Mutter, und die schönen
Schafherden des Bruders seiner Mutter. Er hob eilig den Stein von der
Öffnung des Brunnens - es lag ein Stein auf der Öffnung und tränkte die
Schafe Labans, als wenn sie seine eigenen wären, weil es die Schafe des
Bruders seiner Mutter waren. Die Jungfrau mochte sich wohl darum
befremden, daß so ein Unbekannter ihr von freien Stücken diesen Dienst
erweise; aber indem sie ihn darum ansah, sagte er ihr, daß er ihr
Verwandter sei, und küßte sie mit brüderlicher Liebe und weinte in der
Bewegung seines Herzens.
Rahel eilte nach Hause, daß sie es ihrem Vater sagte. Laban kam heraus
und brachte ihn in die Stadt. Da war wieder eine große Freude, daß die
Verwandten einander sahen, und Laban sah den Sohn seiner Schwester
Rebekka, die vor vielen Jahren von ihm geschieden war, und er hatte auch
schon erwachsene Söhne und noch eine Tochter, welche älter war als
Rahel, mit Namen Lea. Als Jakob schon eine Zeitlang bei seinen
Gefreundten sich aufgehalten hatte und dem Laban diente, sprach Laban zu
ihm: »Wenn du schon mein Fleisch und mein Blut bist, so ist es doch
nicht recht, daß du mir umsonst dienest.« Jakob hatte eine Liebe zu
Rahel gewonnen. Er diente dem Laban sieben Jahre, dass er ihm alsdann
die Rahel zum Weibe gebe.
Aber Laban war bei dem allem ein ungewisser und willkürlicher Mann. Denn
als die sieben Jahre herum waren und Jakob seine Verlobte freien wollte,
sprach er zu ihm: »Es ist hierzuland nicht gebräuchlich, daß man die
jüngere Tochter vor der ältern verheirate«, und gab ihm die Lea. Wollte
er die Rahel haben, so mußte er dem Laban noch einmal sieben Jahre
dienen. Es war dieses eine wohlverdiente Gerechtigkeit, daß er vom dem
an, als er schon glaubte, ein Herr über seine Brüder zu sein, selber
vierzehn Jahre lang dienen mußte in dem Hause eines Fremden, wiewohl es
sein Schwiegervater war. Jakob blieb aber noch lange bei Laban und
erwarb sich in dieser Zeit großen Reichtum, bis endlich der Friede
zwischen ihm und feinem Schwiegervater nicht länger bestehen konnte.
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