11. Esau und Jakob.
Die Erzväter jener Zeit waren keiner weltlichen Herrschaft unterworfen.
Sie standen nur unter Gottes Gewalt. Sie selbst aber übten eine freie
und obrigkeitliche Herrschaft aus über ihre Kinder, über ihre
Verwandten, wenn diese nicht mächtig genug waren, sich von ihnen zu
trennen, und über alle ihre Knechte. Sie standen auch unter keiner
geistlichen Gewalt; jeder war selbst Priester in seinem Hause und trug
das schöne Amt, Mittler zu sein zwischen Gott und seinem Hause. Der
erstgeborne Sohn aber hatte große Rechte und Vorzüge vor seinen Brüdern
und erbte nach des Vaters Tod die Herrschaft und die Priesterwürde, wenn
nichts anders dazwischenkam.
Solch ein Fürst und Priester seines Hauses war Abraham und nach ihm sein
Sohn Jsaak. Aber in Jsaaks Nachkommenschaft kam etwas anders dazwischen.
Jsaak hatte von seiner Ehefrau, der Rebekka, zwei Söhne, den Esau und
Jakob. Esau, der Erstgeborne, war von mannhafter, kräftiger Natur, ein
Mensch, der das Freie liebte, leichtsinnig, aber gutmütig. So hatte ihn
der Vater gern. Jakob aber war ein stilles Büblein, das gerne daheim saß
und mit häuslichen Geschäften sich vertat. Das gefiel der Mutter wohl.
Jakob meinte es nicht gut mit seinem Bruder, weil Esau als der
Erstgeborne große Vorrechte hatte. -
O Eigennutz und Mißgunst, wie könnt ihr das Herz eines Menschen
verderben! -
Eines Tages kam Esau müde vom Felde heim; Jakob aber saß daheim und
kochte sich ein Gemüse, ein Linsengericht· Esau sagte: »Laß mich auch
essen von dieser Speise; denn ich bin müde.« Jakob sagt: »Wenn du mir
heute deine Erstgeburt verkaufst.« Esau erwiderte: »Sterben muß ich
doch; was hilft mir denn die Erstgeburt?« - Also verachtete der
Leichtsinnige seine Rechte und sagte sie mit einem Eid seinem Bruder zu.
Darauf gab ihm Jakob ein Stücklein Brot und das Linsengericht und er aß
und trank und stand auf und
ging davon.
Es war dieses kein guter Handel zwischen Brüdern ohne Vorwissen des
Vaters. Esau hat nicht wohlgetan, daß er seine Rechte verachtete.
Rechte, die Gott erteilt, soll der Mensch nicht verachten. Auch ist es
ihm noch lange nachher gar übel ausgelegt worden. Aber was soll man zu
der Denkung des Jakobs sagen, der den Leichtsinn und die Gutherzigkeit
seines Bruders also missbrauchen konnte? So etwas kann nicht ohne
schlimme Folgen bleiben. |