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39

"Der Himmel macht Miene, die Wolken ausleeren und einen Regen schicken zu wollen. Laß uns eilen, guter Antonius, daß wir eine Waldhütte erreichen, ehe der Regen uns erreicht. - "Mein Dorn im Fuß macht es mir unmöglich, geschwinder zu gehen, und siehe, hier ist ia ein überhangender Fels und eine Buche mit ausgebreiteten Ästen und dichtem Laubdach und weichem Rasen. Hier laß uns niederliegen und die Reste unseres Käses und Brotes verzehren, und ich lege dir geschwind ein Rätsel vor, aufzulösen." - "Ein Rätsel! laß hören!" -
"Welcher Vogel ist ohne Blut?         
Welcher Vogel ist ohne Brut?         
Welchem Vogel fehlt die Zunge?     
Welcher Vogel säugt das Iunge?" -

40

"Ha! mir ist, als hörte ich die rätselwebende Sphinx, als wäre ich zurückversetzt unter die Wundergestalten des fabelhaften Altertums! Vögel ohne Blut, die bei allem dem noch leben? Vögel ohne Zungen? Singen sie denn doch? Und vollends Vögel mit Brüsten und saugenden Iungen! Mich wundert's, daß dir nicht auch der Vogel ohne Füße und das geflügelte Pferd eingefallen ist. Höre, guter Antonius, mir kommt halber vor, du wollest mich zum Besten haben." - "Das verbitte ich mir, Herr Felix, und mit der unglückschwangeren Sphinx laß ich mich aber auch nicht gern vergleichen. Überdies habe ich das Rätsel nicht von der Muse, sondern von meiner Mutter gehört." - "Ei nun, die Muse ist ja deine Mutter, werden wir nicht Musensöhne genannt?"

41

Dein Rätsel ist schwer zu lösen, habest du's, von wem du willst. Zwar, daß der Vogel ohne Brut der Kuckuck sei, der seine Eier den Grasmücken, wenn sie eben im Begriff sind zu brüten, ins Nest setzt und die Ausbrütung und Fütterung derselben diesen Stiefmüttern sorglos überläßt, kann man mit Händen greifen. Allein der übrige Teil deines Rätsels geht über meinen Horizont. Und wenn's ein Königreich gälte, zu lösen ist nach meinem Ermessen das Rätsel nicht." - "Oho, ich löse dir's um ein Butterbrot!" - "So laß hören." -

42

Merkst du denn nicht, daß der Vogel ohne Blut der Sommervogel sei? Daß der Kuckuck der ohne Brut ist, hast du aufs Haar getroffen. Der Vogel ohne Zunge ist der Storch, der, welcher die Iungen an den Brüsten nährt, die Fledermaus". - "Gut gegeben, es ist wahr, ich habe noch nie gehört, daß ein Schmetterling aus der Nase geblutet habe, oder daß ihm zur Ader gelassen worden sei, wie man den Menschen oder wohl auch Tieren zur Ader läßt. Nimm mir's nicht übel, ich muß lachen! Und vollends der Vogel Fledermaus! Vogel und Maus in einer Person. Sage mir, wenn's dir beliebt, wer ist der große Linné oder Buffon, von dem du die Naturgeschichte gelernt hast!" - "Ich wünsche, daß du mich eines Bessern belehrst, wenn ich irre, anstatt mich auszulachen." -

43

"So höre denn: Alle Tiere ohne Ausnahme haben Blut, verstehe darunter einen nährenden Saft, der durch gewisse Kanäle im Körper herum fließt. Aber nicht bei allen ist's von gleicher Farbe und Beschaffenheit, rot bei einigen, weiß oder farblos bei anderen, ienes warm oder kalt, dieses kalt ohne Ausnahme. Der Schmetterling hat weißes und kaltes Blut. Das Blut der Säugetiere ist rot und warm. Hieraus magst du abnehmen, daß es mit deinem Rätsel nicht weit her ist, daß der Schmetterling, ohngeachtet er mit seinen ausgespannten vielfarbigen Flügeln wie eine leichte Feder durch die Luft schwebet und honigdürstend die Blumen umschwirrt, einmal kein Vogel sei, und dann, daß er Blut habe so gut als der Vogel." - "Ich habe mir's eingebildet, du willst alles besser wissen. Was ist denn der Storch, sag einmal, etwa ein afrikanischer, großer Käfer?" -

44

"Was den Storch betrifft, das soll der Vogel ohne Zunge sein? So viel mir bewußt ist, haben alle warmen Tiere Zungen, keins ausgenommen. Aber ich merke dich schon, du denkst, weil der Storch keine singende Stimme hat wie der Distelfink, so fehle ihm auch die Zunge. Ganz vortrefflich! Ohne Zweifel sprichst du ihm aus dem nämlichen Grunde auch Kehle und Lungen ab, kannst's wenigstens mit gleichem Fug. Aber hast du noch nie mit Verwunderung bemerkt, wie mannigfaltig die Natur nicht nur die Formen dem Auge, sondern auch die Töne dem Ohr darstelle? Der Löwe brüllt so, anderst der Ochse, anderst der Esel, anderst der Panther, der Hund bellt, der Fuchs belfert, der Wolf heult, das Pferd wiehert, das Schwein grunzt, das Schaf blökt. Und daß wir zu den Vögeln kommen: die Turteltaube girrt, die Gans schnattert, aber anders schnattert die Ente, der Rabe krächzt, die Henne gluckst, der Hahn kräht. Was ist Wunder, wenn der Storch klappert?

45

Überhaupt scheint es weniger die Zunge, als der Bau der Kehle zu sein, der die Töne ändert. Die Fische hält man sogar für stumm, wiewohl sie schnalzen, und pflegt daher von einem Menschen zu sagen, der nichts redet, er sei stummer als ein Fisch. Die Schlange aber zischt, der Frosch quakt, die Biene summt, das Heimchen zirpt." - "Daß ich dich unterbreche, was sagt man denn von einem Menschen, der des Redens kein Ende findet?" - "Von einem solchen Menschen sagt man, er sei gesprächiger als das Glöcklein zu Dodana. Meinst du mich?

46

Nun zur Fledermaus. - Aber sieh, der Himmel heitert sich auf, die Wolken verscheucht der Ostwind, laß uns also die Reise an den Ort unserer Bestimmung fortsetzen, damit nicht der Abend uns über den Hals komme und, indem wir von den Fledermäusen reden, Fledermäuse in natura uns um die Ohren fliegen." - "Fliegen! sagst du? Also gestehst du, daß es Vögel sind. Wirst du denn nun behaupten, daß sie die Jungen nicht säugen?" - "Schatz, wie nicht alles Gold ist, was glänzt, und wie nicht alles Köche sind, die lange Messer tragen, so ist nicht alles Vogel, was fliegt. Vielmehr unterscheiden sich die warmblütigen Tiere, d.h. die vierfüßigen und die Tiere*, eben darin, daß iene lebendige Junge gebären und an den Brüsten säugen, bis ihnen die Zähne gewachsen sind, mit denen sie abweiden, festhalten, zerfleischen, kleinbeißen und zermalmen können, diese hingegen Eier legen und die Jungen ausbrüten, aber nie säugen.

47

Denn einige derselben können, von der Natur selbst gelehrt und ausgerüstet, fressen, sobald sie aus dem Ei gebrochen sind, wie die Hühner. Andern wird die Speise von den Alten im Schnabel zugetragen, andern erst, wenn die Speise im Schlund der Alten eingeweicht worden, zurückgegeben. Man sagt daher im Lateinischen: Aves demonstrant, porrigunt, inculcant. Hieraus magst du schließen, daß die Fledermaus, ob sie gleich fliegen kann, doch kein Vogel sei, und also geh heim mit deinem Rätsel!"

 

 

 

 

 

- Die Nummern 39 - 47 bilden einen zusammenhängenden Dialog

- Dodana (falsch) = Dodona [Das Orakel mit dem zur Weissagung benutzten Kupfergefäß]
- * hier müsste dem Sinn des Dialogs nach eig. 'Vögel' stehen
- Aves demonstrant, porrigunt, inculcant: Die Vögel machen vor, strecken hin, stopfen hinein.

 

 

   
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