XXXXX   Allgemeine Betrachtungen  
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TEXT 15

 
       

 

VI)                                                  1808 - 1809

 

 
        Warum erreicht der Mann so wenig von dem was der Jüngling hofft?

Thatsachen:

 
         
1,   Ausgedehnt ist die Brust des Jünglings von großen und vrühen Hofnungen.
      Es ist die Zeit der Saat und Hofnung (langes Leben, frohes Leben, Reichthum,
      Ansehen und Ehre, hohes Amt in Militär, Zivil, Gelehrtenstand. - im Ausland,
      im Vaterland.

2,   Wenige werden dem Mann erfüllt. Der reiche blühende Frühling verwelkt,
      wenig Früchte bringt der Sommer.

 
       
Ursachen, erklärbar
 
         
1,   Schon aus dem Begriff der Hofnung. Sie ist wie die Frucht   Erwartung des
      Ungewissen.

2,   Die Hofnungen sind zu kühn. Im ungewohnten Gefühl aufstrebender Kraft,
      unbekant mit dem Gang der Menschlichen Dinge hält er für möglich und leicht,
      was schwer und unmöglich ist.

3.   Er hegt, zu gleicher Zeit und abwechselnd widersprechende Wünsche
      (gemächliches Leben und große Verdienste - Eigen Haus und Herd und ein Beruf
      von unstetem Wohnsitz Reiselust und bindendem Beruf. 

4.   ipse sibi deetc* - Mangel an Muth und Thätigkeit, Leicht für Ausscheidung,
      Vorbeylassung der Gelegenheiten.   Fronte capillata**


 
       


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Edler Charakter des Porsenna nach Liv. 2, c. 9 - 15 ***

Tam diu discendum est homini, quamdiu nehciat.****

 
         
a)   Viele Leute schließen den Kreis ihres Wissens bald.
Welches sind schon Entschuldigungen?
Was ist von ihnen zu halten

b    Gründe für das Gegentheil.

 
           
a   aus der Natur und Bestimmung des menschlichen Geistes

b   aus dem Mißverhältniß dessen was wir wissen, zu dem was wir noch
     nicht wissen -

g   aus dem Zusammenhang und zusammenwirken alles Wißbaren, zu dem
     durch einzelne Kentniße erreichbaren Zweckes.

d   aus der Pflicht, - als Mensch, und Staatsbürger in seinem Beruf möglichst
     nützlich zu seyn

 
         
c    Warnungen
 
           


a    Vor gelehrtem Heißhunger und planloser Zustimmung des Gemüthes in das
      große Feld

 
             
Was vorzüglich?   Was zuerst?   Was nebenbey?
 
           
b    Vor Zurückziehung aus dem Thätigen Leben und der praktischen Anwendung.
 
       
Trifitium moderari spe, gaudem metu, sapientis etc.*****
 
     
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        Virtuti melius, quam fortunae creditur.******  
         
1,   auch der Tugendhafte nach berechneten Plänen thätige Mensch wird nie ganz
      Herr über sein Schicksal.

            Beweis:     ---   ---   ---    Aber

2,   durch planmäßiges weises Handeln wird der Zufall gebunden, geleitet, und
      seine unvermeidlichen nachtheiligen Einflüße gemildert, verbessert, zum
      Vortheil gewonnen. - Die günstigen aufs zweckmäßigste benuzt.

           Beweis in der Darstellung möglicher Fälle.

3.   Nur ein tugendhaftes Handeln ist ein planmäßiges und weises Handeln.

 
       

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VI) = Hebels interne Nummer

* Das vollständige Zitat von Cato dem Älteren: Conscius ipse sibi de se putat omnia dici. (lat.) =
 Wer Böses hat getan, meint, jeder seh' ihn darum an.

** Fronte capillata (lat.) = Vorn hat die Gelegenheit einen Schopf
(verm. im Sinne von: Eine Gelegenheit beim Schopf packen).

*** Porsenna = Lars Porsenna war ein König des etruskischen Clusium, der 508 v. Chr. Rom
 belagert und ev. eingenommen haben soll. Unklar ist ob er historische Realität oder Mythos ist.
Hebels Quelle ist die 'Römische Geschichte' von Titus Livius.

**** Tam diu discendum est homini, quamdiu nehciat (lat.) =
Solange muss der Mensch lernen, wie er etwas nicht weiß.

***** Trifitium moderari spe, gaudem metu, sapientis etc. (lat.) =
Die Traurigkeit mit Hoffnung, die Freude mit Besorgnis zu mäßigen, ist Zeichen eines Weisen.

****** Virtuti melius, quam fortunae creditur (lat.) = Trau lieber deiner Kraft als deinem Glücke
(Pubilius Syrus - Sententiae. Er war ein römischer Mimen-Autor im 1. Jahrhundert v. Chr,
P. S. ist sein Sklavenname, der richtige Name und Lebensdaten sind unbekannt.

 

 

 
 
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      Transkription nach dem Autograph (Digitalisat der BLB Karlsruhe S. 44 - 57).