zurück Predigt am achten Sonntage nach Trinitatis 1798
   

 

Gott unser Vater, wir erkennen die hohe Bestimmung, die du uns durch Jesum Christum angekündiget hast, auf der Erde uns für den Himmel zu bilden, durch Liebe und Tugend dein, — hier zufrieden und froh, und einst einer ewigen Seligkeit Genossen zu werden. Wir erkennen sie und danken dir, und freuen uns; mit Zittern freuen wir uns, denn unser Herr ist schwach, und an die Erde gewöhnt, und seiner Bestimmung noch nicht werth. Vater, wir fühlen es, eigene Weisheit gibt uns kein Licht auf dem dunkeln Pfade, und keinen Schwung die steile Bahn hinauf, keinen Muth in der Prüfung, und keine Kraft zur Vollendung. O daß dies Gefühl unsrer Schwachheit unser Zutrauen zu Jesu Christo befördern und erhalten möge, der den Ruf zur Tugend und zum Leben an uns gethan hat, und, einst auch Mensch wie wir, stark war durch eine bessere Weisheit, und in der Prüfung bewährt, und im heißen Kampf das Ziel der Vollendung erreiche. Er durch Liebe und Wohlthat, und Lehre und Beispiel, und Verheißung der unsrige. Gib daß wir, die wir seinen Namen tragen, durch Vertrauen und Dank und Folgsamkeit die Seinen werden, und einst uns bei ihm und bei dir freuen mögen am errungenen Ziele. Laß uns auch in dieser Stunde seines Geistes froh werden. V. U.

Text: Johannes 15, 1 - 14

1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe.
3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen.
7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.

 

Die vorgelesenen Worte unsers Textes gehören zu den letzten Gesprächen, mit welchen Jesus die Nacht vor seiner Gefangennehmung seinen Jüngern wichtig an Trost und Lehre, und das Andenken derselben auch nach seiner Entfernung lieb und heilig machen wollte. Ohne Zweifel waren ihnen an demselben Tage, als sie von Bethanien durch ländliche Gefilde nach Jerusalem wandelten, die Gegenstande, die der Text als Vergleichungen braucht, nahe unter den Augen, grünende, das Auge erquickende Weingärten; und der unverdrossene, hoffnungsvolle Gärtner, und der Blick des aufmerksamen Menschensohns weilte gerne an unschuldigen nützlichen Gegenständen und Beschäftigungen der Natur und des gemeinern Lebens, und fühlte sich überall in dem, das seines Vaters ist, und überall nahe dem Vater. Jetzt am ernsten Abend faßt er sie wieder auf die lieblichen Bilder des Tages, und bringt mit ihnen eine wichtige geistvolle Belehrung, lieblich, lebendig und nachdrücklich in die Seelen seiner Jünger; er der so gerne die Weisheit vom Himmel in den Kreis des gemeinen geschäftigen Lebens herabzog, so gerne und schön an gemeine Gegenstände und Ereignisse, wie sie ihm die Gelegenheit darbot, seine himmlischen Belehrungen anknüpfte, er in dessen Seele die Gegenwart und die Zukunft, die Zeit und die Ewigkeit, die Erde und der Himmel, so nahe und harmonisch beisammen lagen, der Sohn vom Himmel und der Mensch von der Erde. Ich bin in der That einem Weinstocke zu vergleichen, spricht er jetzt, und mein Vater dem Weingärtner, und ihr den Zweigen am saftreichen fruchttreibenden Stamm. Wenn ihr mir treu bleibet, und mit einem Herzen voll Zutrauen meine Lehre aufnehmet, so wird auch mein Geist und meine Kraft in euch übergehen, wieder Saft der Rebe in den grünenden wachsenden Zweigen. Und mein Geist, so euer Herz durchströmt und nährt, und eure Gefühle belebt, wird edle Thaten zum Trost und zur Freude der Menschheit, reichliche, köstliche Früchte durch euch zur Reife bringen. Denn mein Geist ist Liebe des Vaters im Himmel, und Liebe der Brüder auf Erden. Aber wer das Zutrauen zu mir verliert, und meinen Sinn nicht mehr aufnimmt, ob er auch meinen Namen tragen möchte, der gehört mir nicht mehr an, er kann keine Früchte des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung tragen, die Absicht meines Vaters ist an ihm vereitelt, er gleicht einem Rebenschoß, das dem Fleiße des Pflanzers keine belohnende Frucht verspricht, das abgeschnitten und verbrannt wird. — Laßt uns diese Belehrung und Warnung Christi in dieser Stunde miteinander benutzen, und uns mit der Frage beschäftigen:

Was ist es, das uns zu Christen macht? Es ist:

1) Zutrauen zu dem Stifter des Christenthums;

2) Ähnlichkeit unsers Sinnes mit dem seinigen;

3) treue Ausübung seiner Gebote.

Hat je ein Mensch in der ganzen Fülle seiner Kraft, wie er wollte und konnte, liebend, leitend, bildend, lehrend, heilend oder sonst auf euch gewirkt, wenn euer Sinn und Herz sich ihm nicht mit gutem Zutrauen öffnete? — Konntet ihr je im rechten eigenen Sinne des Wortes von einem Menschen sagen: er ist der Unsrige, wir die Seinen, er gehört uns, wir gehören ihm an, sein Geist und sein Segen ruht auf uns, wie sein Name, — wenn es euch an dieser Gesinnung fehlte, die Geist und Geist zusammenbringt, und bindet und vereint, wie anziehende Kraft Körper und Körper? Oder habt ihr je ernstlich von einem Menschen verlangt, daß er euch als die Seinen anerkenne, der euch alles seyn soll, und dem ihr nichts seyd, der euch alles werden möchte, und nichts werden kann, weil es euch an Zutrauen fehlt?

Der Stifter des Christenthums, mit Weisheit und Kraft, mit dem milden Sinn der Liebe und der Erbarmung vom Himmel erschienen, möchte und kann dem Menschen so vieles und alles werden, — Lehrer dem Unwissenden, wenn er mit unruhigem, vergeblich forschendem. Auge sich umsieht auf der Erde und den Blick erhebt durchs Unermeßliche zu den Sternen, und ihn wieder senkt aufs Grab, wenn er sich fragt: wer bin ich? was ist das alles? von wem erschaffen und genährt und an unsichtbarer starker Hand geleitet, und wozu? was sollen diese Gefühle, diese Kräfte, diese Ahndungen, in mir? dieses Anziehen des Herzens nach einem Unbekannten, nie Gesehenen? diese Anlagen in mir, die für mehr als irdische Zwecke berechnet scheinen? dies Gesetz und Gericht in mir? dies Sehnen nach einem Frieden, den die Erde nicht geben kann, und doch am nahen oder fernen Ziel das Grab?

Er will und kann durch seine Lehre dem Menschen so vieles und alles werden, — Erzieher zu einem Sinn und Leben, das ihm eigenen innern seligen Frieden gewährt, zu einem Sinn, daß er nun ohne Scheu mit kindlichem Blicke aufschauen kann zu Gott dem Vater, mit prüfendem Blick ins eigene Herz, mit überschauendem Blick in die Vergangenheit , mit Hoffnung und Ruhe in die Zukunft, mit der Bürgschaft der Unsterblichkeit im Busen über Grab und Tod in ein besseres Leben.

Er will dem Menschen so vieles und alles werden, — sanfter Tröster des bangen zagenden Gewissens. O es regt sich so oft, und irgend einmal gewiß und desto furchtbarer und trostversagend, je später; — es regt sich in dem Busen des Redlichen, der sich keinen kleinen Fehler verzeiht sowohl, als in dem Busen des Unredlichen, der große begeht; in dem Kindesgefühl, das den Vater liebt, und seinen Willen ehrt sowohl, als in der Seele dessen, der den Richter fürchtet, und vor seinem Gericht erbebt; in der Prüfung dessen, der nicht ist, was er werden möchte sowohl, als in dem Bewußtseyn dessen, der nicht werden mochte, was er seyn soll; — und hält ein ernstes Gericht, das keine Gnade kennt, bis er der Stifter des Christenthums dem Redlichen Gottes schonende Vaterhuld ankündigt, und dem geschreckten bebenden Sünder mit der Sprache hohen richtenden Ernstes, und mit der Stimme des innigen, Hoffnung weckenden Mitleids zuruft: Gott hat keinen Gefallen an dem Tode des Gottlosen, sondern will, daß er sich bekehre von seinem Leben, und Gnade finde.

So vieles und alles will und kann er dem Menschen durch seine Belehrungen und Verheißungen werden, ihn trösten durch den Glauben an eine weise und gute Regierung seiner Schicksale im Sturm und Drang der Leiden, wenn er einsam steht und kämpfet, und schmerzhaft erinnert wird, daß er der Erde angehört, — wenn seine Freunde, die falschen ihn verlassen, die treuen unvermögend zur Hülfe ihn in der Ferne beweinen. Er will in dem noch gefährlichem Sturm und Drang des Glückes und der Freude ihn aufrecht erhalten und schützen, und seine bessere Bestimmung bewahren; will mit dem milden Strahl der Hoffnung aus einer bessern Welt ihm die schauerliche Dunkelheit, die um die Gräber sich lagert, aufhellen; will den Schritt hinab ins Grab und jenseits ihn zu Freuden einführen, die kein Auge gesehen hat, und die in keines Menschen Herz gekommen sind.

Das will er uns werden, und sonst nichts. Dieser Wille ruft aus ihm: Kommt zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken. Dieses Gefühl warnt aus ihm: daß du bedachtest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient! Dieser Wohlthat für die Menscheit widmete er seine Tage, wenn er umhergieng und lehrte, und seine Nächte, wenn er einsam betete, und sich zu neuer Geduld, Liebe und Hoffnung stärkte. Auch Fleisch und Blut und ein Bürger der Erde, die so viele Freuden bietet, kennt er nur die eine Freude, nur diese hohe himmlische Wonne, der Retter seiner Brüder zu werden, sie Gott und der Tugend zu heiligen und den Seligkeiten des Himmels zu weiden. Auch Fleisch und Blut und ein Bürger der Erde, die so viele Leiden bereitet, wagte er keinen Schmerz, den er für seine Liebe zur Menschheit nicht zu leicht fand, den seine Hoffnung ihm nicht versüßte, den sein Muth nicht bestand, und seine ausdauernde Beharrlichkeit nicht besiegte Er war gerne arm, floh gerne verkannt und verfolgt aus einer Stadt in die andere. Wie Sturmwinde in der Natur die Samenkeime verbreiten, an öder Stätte keimt in wenig Monden eine Heilpflanze auf, so trug er unter Stürmen und Verfolgungen das Senfkorn des Evangeliums an alle Grenzen seines Vaterlandes — legte gern ein müdes Haupt zur Ruhe, gieng willig den Schrecknissen jener Nacht entgegen, an die uns unser Text erinnert, sah mit festem Blick die blutige Morgenröthe des Tages, und verbürgte den hohen Ernst uns alles zu werden durch bittern Tod, und die Kraft und den Beruf es zu seyn durch Wiederkehr ins Leben, und wars und ists zur Rechten seines Vaters, — von Gott geehrt und von Engeln angebetet und von vielen Tausenden gepriesen, die vom Staub der Erde zu ihm aufschauen, weil sie bei ihm Frieden gefunden haben.

Christus nennt er sich, den einst Verheissenen und Erwarteten, den von Gott zu hohem Beruf Geweihten, den zum Lehrer, Wohlthäter und Retter der Menschheit Gesandten. Diesen Sinn legt er in seinen Namen. Christen nennen wir uns; was können wir hiermit sagen wollen, als: wir erkennen ihn dafür, und suchen, was wir nicht haben und doch bedürfen, bei ihm, Wahrheit in seiner Lehre, Liebe in seinem Herzen, Trost in seinen Verheißungen, Hoffnung in seinem Tode, und ewiges Heil in der Uebernehmung seiner Gebote? Welch ein leerer Schall diese Benennung, welch eine Gleißnerei, wenn er uns nur noch dem Namen nach bekannt bliebe, wenn sein Name wie vieler tausend, die aus der Vorzeit zu uns herüberhallen, nur unser Ohr und nicht mehr unser Herz erreichte, wenn er da stünde vor uns gleich als ein anderer Mensch und an Geberden als ein Menschensünder, wenn er nur der nothdürftige Erzieher unserer Kindheit gewesen wäre, und unser mündiger Geist seiner nicht mehr bedürfte, wenn wir weiser waren als er, mit besserm Trost, als er uns geben kann, gegen die Leiden der Zeit und ihr Ende den Tod gestärkt, und heilig genug, um mit eigener Tugend die Prüfung des Gewissens hier, und dort das Gericht der Ewigkeit zu bestehen.

Es waren seine Jünger, die bei der stillen tiefen Wirkung seiner einfachen schönen, herzergreifenden Lehre, und beim Blick in sein offenes edles, menschenfrohes Antlitz, den Entschluß faßten, alles zu verlassen, und ihm nachzufolgen; — die von da an Aufschluß über ihre Zweifel, und Rath für ihre Verlegenheit und Trost für ihre Leiden bei ihm suchten, und ihm für ihre Freuden dankten; — die ihn ansprachen: lehre uns beten, wie Johannes seine Jünger beten lehrte, — die ihn baten: zeige uns den Vater; — die ihn anflehten: Herr, stärke uns den Glauben. Als er sie prüfend fragte: wollt ihr mich auch verlassen? antworteten sie: Herr, wo sollen wir hingehen, du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. — Die da sprachen: Ist dieser nicht Jesus, deß Vater und Mutter wir kennen, wie spricht er denn ich bin vom Himmel gekommen? waren seine Jünger nicht. Die da sprachen: was kann uns dieser lehren? waren seine Jünger auch nicht. —

So werth hat der Stifter des Christenthums durch Liebe und That und Aufopferung, und segnende Kraft sich unsers Zutrauens gemacht. So sehr dem freien, ungezwungenen, selbstwählenden Christ geeignet sind seine Verdienste, unmittheilbar, wenn Zutrauen euch nicht zu ihm führt, mittheilbar und eigen in reicher Fülle dem, der sie anzunehmen Willen hat und anzunehmen versteht.

Es ist nicht die Aehnlichkeit des Schalles in den Worten Christus und Christ, die uns zu seinen Jüngern macht. Es ist nicht die Besprengung mit Wasser auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes. Das Wasser ist lange verdünstet und vertrocknet, die weihenden und segnenden Worte sind verhallet, und es ist nichts geschehen, wenn nicht etwas in euerm Herzen geweckt ward, und fortlebet, Glaube an den Vater, und Zutrauen zu dem Sohn, und Gefühl der wirkenden Kraft des Geistes, die den Verstand erleuchtet und das Herz der Tugend gewinnt, und seine Unruhe, Bangigkeit und Schmerz mit stiller Hoffnung besänftiget.

Aber wie hatten wir ihn mißverstanden, welchem Betrug unsers eigenen Herzens uns preisgegeben, wenn uns das nachgebetete Bekenntniß: du bist Christus des lebendigen Gottes Sohn, genügte! Wir glaubten sein hohes Verdienst um die Menschheit dankbar zu ehren und zu belohnen, und seiner willigen Güte eben so willig entgegen zu kommen, wenn wir uns die Mühe nahmen, seine Lehre uns bekannt zu machen, und sie schön zu finden. Wir priesen ihn den Erleuchter der Menschheit, weil er uns von Vorurtheilen und Irrthümern befreite, die uns an lästige Satzungen fesselten, und mit den Schrecken eines beengten verdüsterten Gewissens zu zwecklosen Cerimonien und Andachten jagten, und träten nun auch von den Pflichten zurück, zu welchen die Wahrheit laut, und ernst und nie verstummend den Geist des Freien ruft. Wir hielten vorübergehende, in sich selbst kraftlos ersterbende Gefühle, das Wehen eines Geistes der kommt und geht, und du weißt nicht wohin, für seinen Geist, manchen guten Vorsatz und wenige gute Thaten für Blüthe des lebendigen Glaubens, und die verdächtige, schauerliche Ruhe des Gewissens bei oft gebrochenem Gelübde und vieler bösen That, auch für eine Frucht des Glaubens. So dachte ein Mensch und der Sinn der Liebe, dessen die Seele Jesu voll war, der kindliche Sinn voll Ehrfurcht und Freude und Folgsamkeit und Ergebenheit zu Gott, der herrliche Sinn des Wohlwollens, der Güte, des Erbarmens, der Vergebung gegen seine Brüder hatte ihn nicht ergriffen, und verbrüderte sich nicht mit seinem Glauben, und betete und tröstete und segnete nicht in seinen Worten, und lebte nicht in seinen Thaten; er wäre gleich einer rankenden Pflanze die eine Strecke weit an der Erde hinkriecht, dann am Weinstocke sich aufrichtet, Stamm und Zweige umwindet, aber seines Saftes nicht lebt, und seine Früchte nicht nährt, und wieder abgestreift wird, wenn der Gärtner nach dem Segen seiner Mühe und Arbeit schaut.

Gleichwie mich mein Vater liebt, sagt Jesus, so liebe ich euch, bleibet in meiner Liebe. So ihr meine Gebote haltet, so bleibet ihr in meiner Liebe, gleichwie ich meines Vaters Gebote halte und in seiner Liebe bleibe.

Was ist der Innbegriff der Wahrheiten und Gebote, die wir Lehre Jesu nennen, dafür anerkennen und annehmen? Wahrlich nichts von ihm in müssiger Stunde ersonnenes, nichts, das er gelernt hatte, um es wieder zu lehren, empfangen, um es wie das Andenken einer alten Geschichte weiter zu geben; — es ist etwas aus seinem Herzen, treuer Ausdruck seiner reinen menschlichen Gefühle, seines lebendigen frommen frohen Sinnes, seine Ueberzeugung, seine Lebensweisheit und Lebensregel, sein eigenes Thun und Lassen vor Gott und vor den Menschen, in der einsamen Stille und im lauten Gedräng, unter Freunden und Fremden und Feinden, unter Zufriedenen und Weinenden, in eigener Freude und eigenem Leid, im Leben und im Tod, und noch hinter des Todesnacht im Morgenschein der Auferstehung. Und seine Verheißungen, der Theil seiner Lehre, den wir so nennen, was sind sie? Wahrlich nichts, das er auf guten Glauben angenommen hätte, und auf guten Glauben wieder mittheilte. Es ist Ausdruck seiner Ueberzeugung, wie sie mit seiner Gesinnung und mit seiner Tugend verschwistert, und von ihr genährt und von ihr unzertrennbar, diesseits und jenseits des Grabes, auf dem Berge der Verklärung und auf Golgatha, in seiner Seele lag und lebte und wirkte. Solche Gefühle in uns aufzusuchen, und zu wecken, solchen regen lebendigen Sinn der Güte und Liebe in uns hinüber zu strömen, solchen Willen und solche Kraft zur Tugend, und seinen Glauben, seinen Frieden, seine Freude, solche Bürgschaft der Unsterblichkeit in unser Herz zu legen, theilte er uns die Gefühle und und die Weisheit des seinigen in seiner Lehre mit; und nun so gesinnet werden, wie er war, heißt seine Lehre annehmen.

Liebe zu Gott dem Vater im Himmel, und Liebe zu den Brüdern auf der Erde in einem Herzen, das die Welt mit Freude und Leid in Anspruch nimmt, und das unter Freude und Leid sich der Ewigkeit weihet und bewahret und veredelt, — ist Geist und Sinn seiner Religion und Lehre.

Liebe und Hoffnung, nichts fremdartiges der menschlichen Natur, nichts hineingetragenes und hinein gezwungenes, sondern was der Säugling, ehe er lallen kann, durch Blick und Lächeln verräth, Liebe, — was der Greis den Trauernden an seinem Sterbebette noch mit dem letzten Händedruck und Segen mittheilt, Liebe, — und was mit unserm Leben aufblüht wie Lebenshauch unsre Brust durchweht, sie zu Freuden öffnet und für Leiden stärkt, Hoffnung, unser heimisches, unser erstes und letztes und einziges, nur für den Himmel geläutert, — ist Sinn und Geist Christi und des Christenthums.

Ihr seyd meine Freunde so ihr thut, was ich euch gebiete. Wie Gottes Schöpfergeist in der Schöpfung rege und wirksam ist, lebendig in Millionen Keimen und Blüthen, und unerschöpflich reich an Segen in ihren reifenden Früchten, so ist der Geist Jesu Christi in dem Herzen seiner Verehrer lebendig und wirksam, und fruchtbar an edlen Thaten. — Sie denken wie er, sie handeln wie er, und sind was er — Wohlthäter und Menschenfreunde, treue Menschen in jedem Beruf, in jedem Verhältniß des Lebens. Ihr froher Blick erheitert die Freude der Glücklichen, und ihr Mitleid die Schwermut der Leidenden. Ihre milde Hand spendet jetzt Wohlthat der schmachtenden Armuth, jetzt richtet sie einen Gefallenen auf, leitet hier einen Irrenden auf die Bahn zurück, und ergreift dort noch einen Leichtsinnigen, der dem Verderben entgegen taumelt. Der Segen ihres stillen Wirkens verbreitet sich, unbemerkt aber sicher, langsam aber dauerhaft. Der Dank ihrer Brüder folgt ihnen in ihr Grab, und jenseits erkennt sie der Richter als die Seinen.

So, christliche Freunde, lebte und handelte und starb der, welcher uns als seinen heiligen Willen und als sein Vermächtniß, da er in den Himmel kehrte, seine Lehre zurückgelassen hat, und ward belohnt durch sein Herz und seine Hoffnung in allen Stürmen des Lebens, und am Ende desselben durch den Frieden Gottes und die Wonne der Ewigkeit.

Laßt uns ihm treu verbleiben, Licht und Leitung unserm Gewissen wenn es irrt, Trost wenn es zagt, Aufmunterung wenn unser Muth erbebt, und Kraft zur Tugend in seinen Belehrungen suchen, ihn bekennen nicht mit kaltem todten Wort, sondern mit innigem Herzensgefühl und lebendiger That. Es preise dich, Freund der Menschheit, die Gesinnung guter Herzen, es verherrliche dich auf Erden den Segen guter Thaten, es belohne dich im Himmel die Freude der Gerechten, die durch deine Wahrheit geleitet den Weg zu ihrer Bestimmung gefunden haben!

Amen.

 

 
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