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AN FRIEDRICH AUGUST NÜßLIN |
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[31.Dez. 1803—4. Januar 1804] Die Doxa, mein Bester, war es gewiß nicht, die Sie eines Sonntags in der Kirche um alle Fassung und um alle Andacht brachte, denn die Doxa war den ganzen Sommer hier, und nie in der Kirche. Aber warum muß ich denn den lezten Tag des alten Jahres abwarten, um Ihnen das und alles, was noch nachkommen wird, zu sagen, so wie ich ein par unnütze Visiten von einem Tage zum andern verschoben habe, die heute auch noch müssen abgethan werden. Ei nun, ich finde es wenigstens sehr löblich an mir, daß ich noch im alten Jahre an meine Schulden gedenke, und reine Rechnung mache, und so halte ich's gerne mit den Briefen an gute Freunde, und folglich auch an Sie, um das Alte angenehm zu schließen, und mit den Visiten, um nichts unangenehmes hinüber zu schleppen in's Neue, da ohnehin genug selber nachlauft, und nach der richtigen Bemerkung des Comödienzettelträgers in seinem heute ausgegebenen Neujahrswunsch jedes Jahr seine eigenen 365 Plagen hat, wozu ich unter andern manche Comödie selber rechne, die wir schon gehört haben und noch werden hören müssen, bis der Frühling diese winterlichen Strichvögel wieder in eine andere Gegend veriagen wird. Sie aber, mein Lieber, sollen sich unterdessen, bis Sie diesen Brief bekommen werden, mit einem fröhlichen Sprung, oder wenn Sie's mit mir halten wollen, in ruhigem Schlaf in das deutsche Jahr hinübersetzen, das Ihnen kein einziges Trauerspiel, sondern lauter Lustspiele und gesangreiche Opern mit schönen Decorationen des Lebens mitbringen möge. Und nun weiter! Daß Sie gesund und noch immer gerne in Genf sind, wie zu erwarten stand, und biedere Freunde haben, woran es Ihnen nirgends fehlen kann, wo biedere Menschen sind, und daß Sie mit einem Worte froh sind, und daß Sie mir wieder ordentlich geantwortet haben, das hat mich Alles mit Ihnen froh gemacht, und selbst der scariose erste Correcturbogen, die Topographie von Baden, der da jenseits einem Bierkruge neben mir liegt und im Rücken wieder von einer hebräischen Bibel und einem auf ihr liegenden seidenen Strumpf gedeckt ist, kann mich in diesem Augenblicke, wo ich es Ihnen sage, nicht verdrießlich machen. Ich denke, ich schicke ihn wieder gerade so zurück, wie ich ihn bekommen habe und schreibe darunter: Laßt beides mit einander wachsen bis zur Erndte, und dann henket den Setzer und den Verleger dazu, nur den Verfasser nicht, Pf. Schmidt in Hügelheim, der mein Freund ist. Ich habe jetzt ohnehin nicht Zeit, mich mit vielerlei zu zerstreuen; denn ich suche der Welt, die sich aber lediglich auf unsere Tischgesellschaft einschränkt, durch Charaden nützlich zu werden. Was kann man auch in einer Jahreszeit Besseres thun, wo einem der December in jede gute Stunde regnet, und eine Nacht über den schmalen Tag hinüber der andern die Hand reicht und der ehrliche alte Klingenberger, um nicht auszusterben, sich mit einer jungen Elsässerin verheirathet hat. L. ... fängt auch an zu rathen, und erholt sich merklich, seit er wieder in der Wintermastung ist. Den Sommer hindurch sah er aus, wie der Teufel Puhx in der Voßischen Idylle, bis der König von Schweden kam, da gab es bisweilen einen Volkszusammenlauf und etwas im Trüben zu fischen. Sie sollten ihn in der letzten Christwoche, als über den Bethlehemitischen Kindermord gepredigt wurde, in der Kirche gesehen haben, mit welcher lüsternen Andacht er zuhörte. So eine Predigt, sagte er über Tisch mit tiefer Bewegung, habe ich in Heddelberg noch nicht gehört, und Schlegel, meint er, wisse seine Sujete geschmackvoller zu wählen, als der deutsche Abgott in Paris, der vor einigen Tagen auf seiner Rückreise wie ein Comet manuscriptenschwanger durch unsern Zenith ging und dem Vogel auch eines davon durch das Camin hinab, statt des Specks, in den Schnitzhafen fallen ließ. Vogel sagt, ein einziges Manuscript von Kotzebue sei ihm mehr werth, koste ihn aber auch mehr, als ein ganzes Mastschwein, und seine Frau habe ihm schon manche Suppe mit hussitischem Kinderfett geschmälzt, und Demoiselle Leonhard, in die ich mich denn ietzt endlich nach langem Widerstand förmlich verliebt habe, bezeugt's. Lassen Sie sich nicht zu tief in die Botanik ein, lieber Freund. Sie thut's einem an, wie ein schönes Mädchen, und man hat keine Ruhe mehr. Sie fordert viel Zeit; der Genuß der Natur im Großen, der freie frohe An- und Umblick in der Natur auf ihren Spazirgängen ist für Sie verloren. Sie heften Ihren Blick von den Alpenhöhen und Morgensonnen über Ihnen zur Erde hinab, suchen und finden lauter Stigmata und Antheren, und Petala und Folia panduriformia und pinnata supradecomposita und pinnatifida, retrorsum et sursum serrata, dentata, crenulata, integra, integerrima, subintegerrima, mutica, triquetra etc., und werden für alles, was Sie darüber an Genuß verlieren, erst dann schadlos gehalten, wenn Sie in der erklärten botanischen Wuth sind, und Ihnen in nächtlichen Träumen Prachtgestalten von Blumen aufgehen, die kein Linne gesehen hat, noch beschreiben kann, und der ganze Himmel Ihnen zu Einem Liehen wird, und der Mond und alle Sterne zu Scutellen. Wollen Sie aber meine Warnung verachten, und doch thun, und haben's schon gethan, so mache ich Ihnen die Freude, Ihnen zu sagen, daß Sie, wenn Sie einst wieder zu uns kommen werden, eine Flora Badensis von unserm Freund Gmelin antreffen werden, mit einer Kenntniß des Landes und der Kunst, mit einem Umblick, mit einer ungeheuren Belesenheit, mit einem Fleiß, mit einem spanischen Großsinn geschrieben, daß sie wohl unter allen ihren Schwestern den ersten Rang behaupten wird. Was läßt sich nicht über eine Flora wie die unseres Landes (und des Elsasses) in vier Octavbänden sagen! Ueberhaupt, mein lieber Nüßlin, die Gelehrsamkeit lebt bei uns auf, und
Sie werden sich wundern, wenn Sie heimkommen, was wir am Lyceum für
Streiche machen, und wie das griechische Reich Gottes mit Gewalt
hineindringt, wird Ihnen Ihr Herr Onkel, der den neuen Plan gut entworfen
und Wolfs Gutachten darüber eingeholt hat, geschrieben haben. Das neue
Testament sollte ganz auf die Seite gelegt werden, aber W[ucherer] nimmt's
zwischen die Zähne und schlägt mit den Händen und Füßen aus, und hat die
Spornen an den letzteren. — Ja, Freund, wir sind schon weit gekommen und
die vorige Woche wurde schon im Theater die Elektra und Sophokles, nach
dem Grundtexte mit Abonnement suspendu gegeben. Madame Vogel spielte die
Elektra göttlich und übertraf ihre Rolle in der Johanna von Montfaucon.
Statt des Ballets wurden zum Beschluß die griechischen Scholien aus der
neuen Ausgabe von Mag. Erfurdt in Merseburg von dem Souffleur vorgelesen. Morgen werden die Frösche von Aristophanes gegeben, und Herr Hermannstein exercirt sich schon den ganzen Winter im Quacken. Morgen, das heißt aber nicht den 1. Januar, sondern den Abend vor Dreikönig. Denn der liebe Gott hat unterdessen den Zeiger der großen Uhr von 3 auf 4 gerückt und der Tageszeiger steht auch schon auf 4. Fröhlich ist Auditor (Sie fragten mich nach seiner Adresse) und macht oft ein Gesicht dazu, so mißvergnügt, wie es der große Consul kaum machen kann, wenn die Landung, wie natürlich, mißlingen wird; und unser freundlicher Ladomus mit seinem Bärtlein soll ja als Pestalozzi'scher Mathematikus nach Nyon kommen. Dann wird er bald bei Ihnen sein, und wenn Sie Etwas mit einer grünen Brille und auf einer Meßstange daher reiten sehen, oder ein fernes, frohes Lachen die Ufer des See's herab hören, so denken Sie, er sei es. Genug des fröhlichen Geschwätzes über Allerlei, sonst machen Sie am Ende eine krause Stirne und das möchte ich nicht. Leben Sie wohl. Ich liebe Sie, und es ist mir sehr ernst, wenn ich es so kurz und schlicht sage, wiewohl ich's auch in keiner andern Form zum bloßen Spaß und Schein thue. Ihr redlicher Freund Hebel
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die Doxa: Amalie Leonhard.
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