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AN WILHELM KÖSTER

   

Karlsruhe d. 11. Apr. 1801     

Hochehrwürdiger und hochgelehrter, Hochzuverehrender
      Herr Pfarrer!

Ich habe gegen Eure HochEhrWürden noch eine Pflicht auf mir, und es ist meine große Schuld, daß ich sie, die ich ganz mit dem reinsten Vergnügen sollte erfüllen können, nun nicht mehr ohne das beygemischte Gefühl einer Verlegenheit erfüllen kann. Ich bringe Ihnen nemlich meinen verbindlichsten Dank noch nach für das angenehme Geschenk Ihrer vortrefflichen Altarliturgie, womit Sie mich durch Ihren und meinen Freund den Herrn Consistorialrath Wolf beehrt haben, und begleite meinen Dank mit der aufrichtigen Versicherung, daß ich diese Attention in ihrem großen Werthe anerkenne und zu schätzen weiß, und Ihre meisterhafte Schrift mit großem Gewinn, nicht nur für die Kunst des Vortrags in diesem Fache, sondern auch für meine eigene Erbauung lese.

So lästig es oft wird, noch weitläufige Entschuldigungen für langes Zögern nachlesen zu müssen, so glaube ich Ihnen doch sagen zu dürfen und zu müssen, wodurch das meinige veranlaßt wurde. Lange ließ mich ein Mißverstand in der Altarliturgie, die mir H. K. R. Wolf mit seinem Exemplar der Beerdigungslit. zusendete, nur eine freundschaftliche Communikation von ihm erkennen. Ich hatte ihm auch bereits beide Bücher dankbar wieder zurückgeschickt, und nahm erst verflossenes Spätiahr die erste als ein Geschenk von Ihrer Güte wieder in Empfang. Ich hoffte unterdessen den durch Irrthum einmal gemachten Fehler einigermaßen decken zu können, wenn ich meinen Brief mit einem Exemplar unserer neuen K. Agenden, die schon lange sollten gedruckt seyn, begleiten könnte. Allein es sieht bald aus, als ob unser Consistorium, am unrechten Ort für ein Manuscript zu solchem Gebrauch das „nonum prematur in annum" beobachten wollte.

Nehmen Sie hiezu noch ein aufrichtiges Geständnis in dem alten Sprüchlein: crescit quotidie pudor, so haben Sie alles, und für das übrige, was damit noch nicht geeiniget ist, bitte ich um Ihre gütige Nachsicht.

Zu unseren neuen Agenden hatte ich einen beträchtlichen Theil zu liefern. Aber wie viel habe ich verlohren daß meine Arbeit schon größtentheils fertig und übergeben war, als mir ein Muster dazu in der Ihrigen erschien. Zwar muß ich bekennen, daß ich gerne wenig zuvor las, und lieber dem eigenen Genius folgen wollte, und that ohne Zweifel Unrecht daran. Auch scheint es mir die Manier sey etwas verschieden. Doch sind wir wie natürlich in den Grundsätzen einig, wodurch alle Manieren vereinigt werden müssen, daß die Erbauung nicht in das Herz des Zuhörers als in ein leeres Gefäß hinüber gegossen, sondern aus ihm als einer verschlossenen Quelle herausgefördert werden müsse; daß die geistlichen Zunftartikel ganz vermieden, und natürliche Gedanken und Empfindungen in natürlicher Sprache vorgetragen werden müssen; daß die ächte Popularität nicht darin bestehe, den gelehrten Vortrag bis zur Allgemein-Verständlichkeit hinab auseinander zu ziehen, sondern die genuine Art der Vorstellung und Darstellung des Volks unmittelbar und lebendig auf zufassen, und nur veredelt auszudrücken und daß schöne gereinigte Sinnlichkeit in der Darstellung die Blüthe der Popularität und das wirksamste Vehikel für den Eingang ins Herz sey. Von einer solchen Bearbeitung wenn ich ihr Ideal erringen könnte, glaube ich daß sie alle Klassen von Zuhörern, und nicht nur auf kurze Zeit in reiner ungestörter Andacht vereinigen könnte; denn es gienge aus ihr nicht der konventionelle Geschmack der kleinern Parthei, und nicht der Ungeschmack der großen, auch nicht der eigene der Zunft, sondern edle einfache Natur hervor, die so Gott will an alle Herzen ansprechen, und über alle wechselnden Moden des Zeitalters, siegen wird.

Auch metrische Versuche zu wagen, womit ich lange umgieng, fehlte mir vielleicht nur noch eine Autorität, wie die Ihrige ist. Man machte mir zwar die Einwendung, daß es gegen die Würde und den Ernst der Handlung wäre, als ob dies, wenn es wahr wäre, nicht noch vielmehr der Fall bey dem Gesang seyn müßte, der doch so feyerlich und selbst so ernst seyn kann, wenn wir wollen. Mehr bedenklich machte mich die Erinnerung, wie heillos von mancher geistlicher Sprachmaschine selbst die prosaischen Formulare herabgerollt werden, und in welch unausstehliches Geleyer vollends der Vorspruch metrischer Formulare übergehen müßte. Sie hatten diese Bedenklichkeit zwar nicht zu scheuen, denn wer so ohne Gefühl beten kann, wird auch Ihre Gebete unentweiht lassen aber wichtiger wird sie bey einer Sammlung die für den Adel und für den Pöbel der Clerisei eines ganzen Landes bindend werden soll.

Aber wie lange halte ich Sie, und unbescheiden genug, mit mir und mit Dingen dahin, die Sie alle entweder besser wissen, oder nicht zu wissen verlangen. Entschuldigen Sie diese Gesprächigkeit in meinem Wunsche, einen Punkt der näheren Berührung mit Ihnen zu finden, und nehmen Sie gerne die Bezeugung der reinsten Hochachtung von mir auf, mit der ich die Ehre habe zu verharren

Euer HochEhrwürden Gehorsamster Diener      J. P. Hebel              

 

 

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