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AN FRIEDRICH WILHELM HITZIG

   
 



Dein Catechism, o Zenoides, ist mir wie der Thau, der v. Hermon herab auf die Berge v. Zion träufelt. Ich ergötze mich an dir u. an ihm, an seinen schönen praktischen Tendenzen, worinn er alle, die ich kenne, hinter sich läßt, selbst an dem leichten Anflug der sogenannten Orthodoxie, der wie ein durchsichtiges Hemdlein das schöne nakte Evangelium deckt.

Unsere theologischen Radicalreformer u. Carbonari sind ungerecht gegen die Dogmen der Kirchenlehre. Sie ist der ehrwürdige Rost u. Grünspan, der sich in der Reihe der Jahrhunderte zuerst an dem Evangelium angesetzt und hernach eingefressen hat. Man kann ihn nicht mehr rein wegschaben, ohne etwas von dem edeln Metall abzukratzen. Man kann dieses nur noch in seiner Cruste conserviren.

„Im einzelnen — sagst du — kann und muß noch, vieles geändert werden." Dis ermuthiget u. rechtfertigt mich, hierzu einiges vorzuschlagen. Es soll kein Tadel, es sollen nur andere Ansichten zur Vergleichung u. Prüfung seyn u. wenn ich umständlich u. kleinlich oder, wie es Cicero mit einem Wort sagt, putidiusculus werde, ich bin es willens, so kannst du dessen keinen wahreren Grund denken als die Freundschaft u. den Wunsch, daß dieser C. den Sieg vor allen einstimmig davon tragen möge.

|> Ich finde bisweilen Wiederholungen u. wenigstens Rückkehren auf schon Gesagtes u. Angenähertes z. B. (Fr · 2 · 5 · 6) 7· 11 · 17a · ferner 9 · 41 · - 13 · 14 · - 64 · 65 · 73 · Ligt vielleicht der Grund in der zu treuen Beflißenheit methodisch zu seyn, u. über aktiv Vorhergehende und Folgende vorzubereiten. Gleicht nicht bisweilen aus dem ersten Grund der Catechismus fast in die Catechisation hinaus?

Die Gleichförmigkeit des Ganzen lässt sich erst geben, wenn das Ganze da ist. Bisweilen steht das Definitum bisweilen die Definition in der Frage u. u. in der Antwort. Etwas auffallend in Fr. 13 · 14 · u. 108, 110, 116) Hier u. da scheint mir ungleich viel u. wenig in meinen fragen zusammengefasst. Ersteres besonders Fr. 14 ·

Befleißige dich der Popularität im Ausdruck ( z. B. lieber völligst als vollst) und in der Construktion, wo die direkten Sätze unverständlicher scheinen, als die indirekten und die Relativen, z. B. Fr. 69 · "daß er ganz heilig war
p" lieber: "er war ganz heilig pp  Hinweis halte ich auf Festhaltung des nemlichen Ausdrucks für die nemliche Sache, u. Behutsamkeit im Gebrauch der Steigerung  Fr. 8a Sonne Mond Sterne. b Weltkörper. Bey 10 unten Frage: Gottes Geist Antw. Heiliger Geist.

Die Fragen bedürfen noch besonderer Aufmerksamkeit. Kommt das Wort Schrift nicht zu oft in die Frage? Was lehrt die Schrift pp  Wie meint die Schrift pp  Ob es gleich herkömmlich ist, daß der Lehrer die Frage list, u. der Schüler die Antwort, so sollten doch beide so gestellt seyn, daß auch der Schüler fragen u. der Lehrer antworten könnte. Das Muster eines solchen Antechis gibt Cicero im Dialog de partitione oratoria. Ich deute hier auf Fragen, wie 29b "Was willst du womit fragen?" statt: Wie ist dieses zu verstehen? Übrigens stimme ich ad hunc jafsum mit Ewald.

Noch ein paar einzelne Bemerkungen wenn dein Gesicht noch heiter und freundlich ist.  Zeig wie! Laß sehn! Die Einleitung wirst du ohne Zweifel noch umarbeiten. Sollte es nicht verwirren, daß gleich die Antwort auf die nächste Fr. sich wieder mit Fragen auflöst. Ist Antw. 3 mit Antw. 1 vereinbar? Frage 1 schlißt das Wort Religion zufällig ein u. wird nachher Fr. 4 schon als bekannt vorausgesezt, aber erst Fr. 16 erklärt.

Frage 14 · Bibel und Wort Gottes halte ich nicht für synonym. Dies hat schon zu vielem Mißverstand u. Spott Anlaß gegeben. Neulich sagte mir iemand bei Gelegenheit der wohlfeilen Bibelausgaben: "Das Wort Gottes Die Bibel kann verwendet, in Leder gebunden, an Juden verhandelt werden. Das Wort Gottes (die Lehre) kann angenommen, verachtet werden. Gellerts: "Gib mir nur Wahrheit u. Verstand, dich Gott pp  ist so gut Gottes Wort als Joh. 17, 4. 3. Aber Gellerts Lieder sind nicht so gut als die Bibel. Denn die Bibel ist die Urkunde des Wortes.

Halte mir das alles, o Zenonides zu gut. Es kann nämlig und unbescheiden scheinen, daß ich deiner eigenen Revision im Drang der Liebe voraneile, was ich zu m. Catechism nicht thäte. Doch sehen auch
4 Augen mehr als 2 u. wenn ich dich auf einen gängigen Gegenstand aufmerksam mache, der dir vielleicht entgangen wäre, so verzeihst du mir alles Übrige gerne.
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Meine Antwort auf deinen Brief nächstens. Gott stärke u erhalte deine wiederhergestellte Gesundheit u. deinen lebendigen frommen Eifer zur Vollendung des heiligen Werkes, der ich mit Sehnsucht entgegen sehe, um mich des schönen reinen Gantzen freuen zu können. Meinen Gruß der frommen Daube. Herzlich u. ewig

                                                             Dein

D. 24sten Febr                                                                   Parm
               21

                  

|> Ich sagte Sander, daß ich ihm unmittelbar schreiben werde. Er ersuchte mich Ewalds Bemerkungen mit einzuschließen, u. wird dir den Catechism mit dem nächsten Postwagen verschicken. <|

 








Carbonari (ital. Köhler) Mitglieder der Carboneria, Geheimbünde in den ital.
Staaten im 19. Jh.




**putidiusculus = etwas zudringlicher

C. = Catechismus







Definitum = der zu erklärende Begriff oder das Subjekt des zu erklärenden Satzes.




 p  bzw.  pp = lat. perge  bzw.  perge, perge  = ’fahre fort’ oder ’usw’.



gemeint ist vermutlich = Obgleich es...

Antechis = griech. von Antechismus =
Lehrbuch für den Christlichen Glauben
ad hunc = lat. zu diesem / jafsum = jaf sum (verm. hebr. = Gott oder Herr) / Ewald = Johann Ludwig Ewald, Kirchenrat








Gellerts = Christian Fürchtegott Gellert, Dichter



m. Catechism = meinem C. - Hebels "Christl.  Catechismus", begonnen 1821, vor seinem Tod fertiggestellt, 1828 posthum erschienen



 
   

 

 

 

 

Die in dem Brief angesprochenen Fragen(-nummern) beziehen sich auf einen "Fragen-Antworten-Kommentar", den Hebel im Hinblick auf den geplanten Catechismus Hitzigs erstellt und möglicherweise zusammen mit diesem Brief an ihn verschickt hatte.

Dieser Kommentar ist als eigenständiger Text unter der Kennung HN F-A-Kom bei den Briefen zu finden.

 

Der Text dieses Briefes wird hier erstmals vollständig und korrekt an Hand des Briefes aus dem Nachlass F. W. Hitzigs transkribiert wiedergegeben -
die markierten Abschnitte  |> xxx <| waren bisher unveröffentlicht.

Nicht nachzuvollziehen ist, warum Zentner den Brief nicht vollständig wiedergegeben hat.
Bei der Zeichensetzung gibt es erhebliche Änderungen - Punkte bei den Abk. fehlen, 'und' statt der üblichen Hebelschen Schreibweise 'u.' - eher verständlich ist, dass Zentners Transkription die bei Hebel übliche Schreibweise der Doppelkonsonanten 'mm' u. 'nn' mit Reduplikationsstrich = m u. n nicht
 beibehalten hat.