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48. Die Kreuzigung.

Eine große Menge Volks, Böse und Gute, begleitete Jesum zu seiner Kreuzigung. Unter ihnen waren fromme Weiber; die weinten und wehklagten über sein Schicksal. Aber Jesus wandte sich um zu ihnen und sprach: »Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich! Weinet über euch selbst und über eure Kinder!« Denn er dachte abermals an das große Unglück, das bald über Jerusalem kommen mußte, und in seinem eigenen Schmerz verlor er das Mitleiden mit dem fremden nicht. Als sie mit ihm nach Golgatha gekommen waren, dort kreuzigten sie ihn. Sie kreuzigten auch noch zwei Mörder mit ihm, einen zu seiner Rechten, den andern zu seiner Linken, und spotteten über ihn. Aber der fromme Dulder betete und sprach: »Vater, vergib ihnen! Sie wissen nicht, was sie tun.« Das war das erste Wort, welches Jesus am Kreuze sprach. Viele, die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten das Haupt. Auch die Hohenpriester spotteten seiner: »Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er Christus, der Sohn Gottes, so steige er herab. Er hat Gott vertraut, der helfe ihm nun.« Selbst einer von denen, welche mit ihm gekreuziget waren, war noch imstande, im eigenen entsetzlichen Schmerz der Schmerzen des Unschuldigen zu spotten. Aber der andere sprach zu ihm: »Fürchtest du dich auch nicht vor Gott, der du gleiche Strafe leidest? Zwar wir empfangen billig, was unsere Taten wert sind. Dieser aber hat nichts Unrechtes begangen.« Hierauf sprach er zu Jesu: »Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!« Jesus antwortete gerne auf fromme Rede. Er gab dem Bittenden den Trost: »Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.«

Gegenüber dem Kreuze stand die Mutter Jesu mit einigen Freundinnen. Das war die schmerzvolle Stunde, in welcher sie niemand selig pries. Es stand auch neben ihr Johannes, der Jünger, den Jesus so liebhatte. Als er seine Mutter und seinen geliebten Jünger erblickte, sprach er zu ihr: »Siehe, das ist dein Sohn,« und zu dem Jünger sprach er: »Siehe, das ist deine Mutter.« Das Wort der Liebe und des Vertrauens verstand des Jüngers frommes Herz. Er nahm die Mutter Jesu von Stunde an zu sich, daß er ihr kindliche Liebe und Pflege bewiese.

Der Himmel verhüllte sich in schwarze Wolken. Es verbreitete sich eine Finsternis in der ganzen Gegend. Jesus rief: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Das war der Augenblick seines höchsten Schmerzes. Aber wenn der Schmerz am höchsten ist, ist seine Auflösung am nächsten. Wenn wir von Gott verlassen scheinen, ist Gott am nächsten bei uns. Jesus sprach: »Mich dürstet,« daß er vor seinem Tode sich noch einmal erquickte und auf sein nahes Ende stärkte. Sie gaben ihm Essig zu trinken. Als er den Essig getrunken hatte und das nahe Ende fühlte, rief er mit lauter Stimme: »Es ist vollbracht« — »Vater,« rief er, »in deine Hände befehl ich meinen Geist.« Das war sein letztes Wort. Da waren sie aufgelöst, die Schmerzen des frommen, heiligen Dulders. Da neigte er das müde Haupt und starb.

Aber nicht umsonst hatte sich der Himmel in furchtbare Wolken verhüllt. Die Erde erbebte, daß Felsen zersprangen und die Gräber ausgingen. Ja, der Vorhang im Tempel zerriß, der das Allerheiligste des Tempels bedeckte. Als der Hauptmann der römischen Wache das Erdbeben wahrnahm, sprach er: »Wahrlich, er ist ein frommer Mann und Gottes Sohn gewesen.« Das Volk aber schlug an seine Brust und kehrte wieder um.

Man weiß nicht, was man dazu sagen soll.